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    Kohlenstoffmärkte – die aufstrebende Anlageklasse, mit der die verlorengegangenen Wälder der Welt wiederhergestellt werden

    Jeden Tag bereiten die drei Billionen Bäume der Welt das einzige ihnen bekannte Rezept zu: Sie verwandeln Sonnenlicht in Zucker. Neben Sonnenlicht brauchen sie dafür noch zwei weitere Zutaten: Wasser und Kohlendioxid. Wasser kommt aus dem Boden, Kohlendioxid aus der Luft. Der zuckerhaltige Pflanzensaft fliesst nach unten und nimmt dabei die Kohlenstoffverbindungen mit, die anschliessend im Holz oder im Boden gespeichert werden.

    Seit Tausenden von Jahren ist dieser einfache, aber geheimnisvolle Prozess die Grundlage für das Wachstum der gesamten Vegetation – von den kleinsten Gräsern bis zu den höchsten Bäumen. Mittlerweile generiert er auch immer höhere Kapitalflüsse. Dadurch verlagert sich der Fokus von der Ausbeutung der Wälder auf deren Schutz und die Wiederaufforstung.

    In den letzten 100 Jahren ist aufgrund von Landwirtschaft, Abholzung, Bergbau und Infrastrukturprojekten eine Waldfläche von der Grösse der USA verschwunden. Jetzt könnten Kohlenstoffmärkte mit hoher Integrität zu einem wichtigen Instrument werden. Sie sollen diesen Verlust aufhalten, ja sogar wieder rückgängig machen. Anders ausgedrückt sollen sie dazu beitragen, die noch vorhandenen Waldbestände zu erhalten und die verschwundenen wieder aufzuforsten.

    Ein neuer kommerzieller Anreiz

    Wenn die Sonne über der Region Zentralkalimantan auf der Insel Borneo aufgeht, beginnen sich die Bäume des Katingan-Mentaya-Regenwald-Schutzprojekts1 zu bewegen. Millionen von natürlichen Sonnenkollektoren drehen sich, um das Morgenlicht einzufangen. Einige der letzten noch lebenden Borneo-Orang-Utans wachen in ihren riesigen Nestern auf. In dieser Region, die ständig unter dem Druck der Holzwirtschaft steht, dienen die 157'000 Hektar des Katingan Mentaya als ökologisches Bollwerk.

    Schätzungen zufolge speichern die tropischen Regenwälder 250 Milliarden Tonnen Kohlenstoff2. Gemessen am verbleibenden weltweiten Kohlenstoffbudget3 ist das etwa die Hälfte. Der Schutz des Katingan-Mentaya-Regenwaldes, wo die tropischen Bäume in einer mehr als 10 Meter tiefen Schicht von kohlenstoffreichem Torf wurzeln, sorgt dafür, dass 7,5 Millionen Tonnen Kohlenstoff sicher gespeichert bleiben. Das entspricht einer jährlichen Emissionseinsparung von 2 Millionen Autos.

    Die Käufer – zumeist grosse Unternehmen – können die Gutschriften als Ausgleich für ihre verbleibenden

    Allerdings lässt sich der Wald nicht allein durch gute Absichten schützen. Das Gebiet zählt zu den weltweit grössten freiwilligen Kompensationsprojekten. Hier steht der kommerzielle Wert des Waldschutzes über dem Gewinn aus Abholzung oder anderen Nutzungsformen. Die Erlöse aus dem Verkauf von Emissionsgutschriften, die jeweils einer im Rahmen des Projekts vermiedenen oder aktiv gebundenen Tonne CO2 entsprechen, schaffen Arbeitsplätze vor Ort. So werden die Wälder erhalten und nachhaltig bewirtschaftet. Zudem entsteht eine lokale Wirtschaft im Einklang mit der Natur. Die Käufer – zumeist grosse Unternehmen – können die Gutschriften als Ausgleich für ihre verbleibenden

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    Freiwillige Kohlenstoffmärkte im Aufwind

    Heute sind über 90% des globalen Bruttoinlandsprodukts Gegenstand eines Netto-Null-Ziels für die Emission von CO2 und anderen THG-Äquivalenten. Emissionsgutschriften und der sich daraus ergebende Handel sind zur „Währung“ dieser Dekarbonisierung4 geworden. Der Emissionshandel wird inzwischen auf jährlich mehr als USD 900 Mrd.5 geschätzt und dürfte in Zukunft auf das Volumen der grossen Rohstoffmärkte anwachsen.

    Aktuell entfällt ein Grossteil dieses Wertes auf die Compliance-Märkte. Denn grosse Emittenten sind mittlerweile gesetzlich verpflichtet, Emissionsrechte zu erwerben, um hohe Strafen zu vermeiden. Der weltweit grösste Compliance-Markt ist das Emissions Trading System (ETS) der EU: 2022 wurden im ETS Emissionsrechte im Wert von EUR 683 Mrd. gehandelt.6 Von 2017 bis 2022 ist der Preis pro Emissionsrecht von EUR 7 auf ein Hoch von EUR 98 gestiegen. Erklären lässt sich dies mit dem abnehmenden Angebot und der steigenden Nachfrage aufgrund geopolitscher Ereignisse.

    Mit einem Handelsvolumen von USD 2 Mrd. im Jahr 2021 sind die freiwilligen Kohlenstoffmärkte, die Unterfangen wie das Katingan-Mentaya-Projekt finanzieren, vergleichsweise winzig, aber sie holen schnell auf. Seit 2016 hat sich die Zahl der freiwilligen Emissionszertifikate mehr als vervierfacht7. Angesichts der wachsenden Nachfrage durch die Netto-Null-Verpflichtungen der Unternehmen könnte der jährliche Handel bis 2030 Schätzungen zufolge auf USD 50 Mrd.8 steigen.

    Für Anlegerinnen und Anleger bieten die Kohlenstoffmärkte eine einzigartige Gelegenheit, da sie als natürliche Absicherung gegen die Auswirkungen der Klimapolitik auf die Unternehmensgewinne wirken

    Für Anlegerinnen und Anleger bieten die Kohlenstoffmärkte eine einzigartige Gelegenheit, da sie als natürliche Absicherung gegen die Auswirkungen der Klimapolitik auf die Unternehmensgewinne wirken. Ausserdem bieten sie dank ihrer geringen Korrelation zu anderen Anlageklassen die Möglichkeit der Portfoliodiversifizierung und weisen häufig Inflationsausgleichsmechanismen auf. Gleichzeitig unterstützen Anlegerinnen und Anleger auf diese Weise die Dekarbonisierungsstrategien von Unternehmen durch die Förderung der Preiskonvergenz zwischen den regionalen Märkten – und auch die Bereitstellung von Liquidität, die Preisstabilität sowie die Preisfindung.

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    Ein komplexes Problem

    Das rasche Wachstum des freiwilligen Kohlenstoffmarktes wird allerdings nicht einstimmig gutgeheissen. Bestenfalls bieten Gutschriften für die Emissionsreduktion und die CO2-Entfernung Unternehmen, Staaten und Einzelpersonen ein effizientes Mittel, um Klimaschutzmassnahmen zu beschleunigen. Beispielsweise schaffen wir durch die Finanzierung des Erhalts und der Wiederaufforstung von Wäldern eine nachhaltige Lebensgrundlage für die Gemeinschaften vor Ort, schützen die Biodiversität, verbessern die Bodengesundheit, stellen die Wasserversorgung sicher und verhindern Überschwemmungen oder Dürren. Allerdings können diese Gutschriften auch der Biodiversität schaden, die Rechte von Gemeinschaften missachten oder sogar zu einem Anstieg der Emission führen.

    Bei Investitionen in Kohlenstoffprojekte ist daher eine Qualitätsprüfung unabdingbar. Erstens müssen die Projekte unter Beweis stellen, dass sie tatsächlich einen sonst nicht gegebenen Nutzen für die Kohlenstoffspeicherung bringen. Zweitens gilt es, das Risiko von „Leckagen“ zu verringern. Bei Waldschutzprogrammen darf sich die Abholzung oder Zerstörung nicht verlagern – sondern sie muss wirklich verhindert werden. Drittens muss eine „Doppelzählung“ vermieden werden, bei der dieselbe Tonne gespeicherten Kohlenstoffs von mehreren Parteien beansprucht oder durch mehrere Gutschriften abgedeckt wird.

    Bei Nichtberücksichtigung dieser komplexen Zusammenhänge erhöht sich das Risiko, dass schlechtere Ergebnisse erzielt werden, es den Gutschriften an Integrität mangelt oder sogar Betrug entsteht; aktuelle Medienberichte haben das diesbezügliche Bewusstsein geschärft. Nun treibt der tiefgreifende Marktwandel die Standards nach oben.

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    Auf der Nachfrageseite fordern die Käufer, die das Risiko eines Imageschadens infolge einer unzureichenden Wirksamkeit scheuen, hochwertige Emissionsgutschriften

    Integrität zuerst

    Auf der Nachfrageseite fordern die Käufer, die das Risiko eines Imageschadens infolge einer unzureichenden Wirksamkeit scheuen, hochwertige Emissionsgutschriften. Die 2021 gegründete Lowering Emissions by Accelerating Forest finance (LEAF) Coalition konnte bereits USD 1,5 Mrd. für länderspezifische Programme beschaffen. Es handelt sich um Mittel der öffentlichen Hand und des Privatsektors, die qualitativ hochwertige Gutschriften erwarben. Als Reaktion auf die Kritik an „projektbezogenen“ Programmen werden nun länderspezifische Gutschriften auf Basis der beobachteten Emissionsreduktionen in grossen Gebieten ausgestellt. Damit soll gewährleistet werden, dass es sich um eine zusätzliche Reduktion und eine transparente Bilanzierung handelt.

    Für potenzielle Käufer der Gutschriften fungiert die LEAF als exklusiver Club. Lediglich Unternehmen mit öffentlichen, wissenschaftsbasierten Netto-Null-Zielen sind als Käufer zulässig. Die LEAF verkauft nur dann Gutschriften, wenn sie zusätzlich zu – und nicht anstelle von – echten Emissionsreduktionen erfolgen.

    Auf der Angebotsseite sorgen Innovationen wie Geodaten, einschliesslich Satellitenbilder, und dynamische Baselines, bei denen geschützte Wälder mit ungeschützten Benchmark-Regionen verglichen werden, für mehr Transparenz.

    Unterdessen entwickeln sich die Politik und die Branchennormen weiter. „Integrität“ ist zum Schlagwort der Stunde avanciert. Die Voluntary Carbon Markets Integrity Initiative will sich auf die Integrität der Käufer und Verkäufer von Kohlenstoffkompensationen konzentrieren. Führende Organisationen zum Schutz von Umwelt und indigenen Völkern veröffentlichten einen aktualisierten Unternehmensleitfaden zur Integrität von Tropenwaldgutschriften (Tropical Forest Credit Integrity Guide for Companies). Dieser soll den Käufern helfen, qualitativ hochwertige, von Indigenen geleitete Programme zu identifizieren. Zugleich zielt der Integrity Council for the Voluntary Carbon Market darauf ab, stringente, wissenschaftsbasierte und universelle Ziele festzulegen, um Transparenz und Rechenschaftspflicht im gesamten Sektor sicherzustellen.

    „Integrität ist am wichtigsten“, so William McDonnell, Chief Operating Officer des Council. „Wenn die Integrität stimmt, dann kommt die Skalierung von selbst.“

    Nicht nur die Tropenwälder

    Laut den Vereinten Nationen besitzen naturbasierte Lösungen wie Projekte zur Wiederaufforstung und zum Schutz von Wäldern das Potenzial, mehr als ein Drittel des Klimaschutzes zur Erreichung des Pariser Temperaturziels9 zu gewährleisten. Dafür sind jedoch Wiederaufforstungsprojekte nicht nur in tropischen Regionen, sondern auf der ganzen Welt erforderlich.

    Für Anlegerinnen und Anleger bieten Kohlenstoffmärkte unterdessen eine der wichtigsten und wirkungsvollsten Möglichkeiten, an der Nachhaltigkeitsrevolution mitzuwirken

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    Im Westen der USA plant die Regierung Biden zur Bekämpfung des Klimawandels sowie der damit einhergehenden Hitzewellen, Dürren, Waldbrände und Verluste an Biodiversität, die Beweidung von elf Naturschutzgebieten zu verbieten und das Land zu renaturieren.10 In Grossbritannien ist geplant, bis 2042 rund 300'000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche durch Baumpflanzungen und die Wiederherstellung von Mooren und Feuchtgebieten in einen naturnahen Zustand zurückzuführen. In der EU sieht das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene und vom Europäischen Parlament noch zu verabschiedende Nature Restoration Law vor, dass die Mitgliedstaaten bis 2030 20% der Land- und Meeresflächen in der EU renaturieren.

    In einem kleineren, aber nicht minder ehrgeizigen Massstab könnte Schottland die erste vollständig „renaturierte“ Nation der Welt11 werden. Dort arbeitet die Regierung eng mit unzähligen NGO-Projekten zusammen, die in den nächsten drei Jahrzehnten mehr als 90 Millionen Bäume pflanzen und mehr als 200'000 Hektar der Highlands12 wiederherstellen sollen. Wie bei der Wiederaufforstung der Tropenwälder werden Emissionsgutschriften einen Beitrag dazu leisten, viele dieser Projekte auf den Weg zu bringen.

    Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssen wir die THG-Emissionen bis 2030 um 43%13 senken. Darüber hinaus müssen wir naturbasierte Klimaschutzlösungen in grossem Stil umsetzen. Dafür müssen verlorene Wälder und Torfgebiete wiederhergestellt, Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche renaturiert und die Wirksamkeit der Nahrungsmittelherstellung verbessert werden. Mit der Entwicklung der Kohlenstoffmärkte werden qualitativ hochwertige Gutschriften hierbei eine wesentliche Finanzierungsquelle bieten. Für Anlegerinnen und Anleger bieten Kohlenstoffmärkte – ob in Form freiwilliger Kompensationsmassnahmen oder in Form von Compliance-Märkten – unterdessen eine der wichtigsten und wirkungsvollsten Möglichkeiten, an der Nachhaltigkeitsrevolution mitzuwirken.

    1 Katingan-Mentaya-Projekt (katinganproject.com)
    2 Benchmark map of forest carbon stocks in tropical regions across three continents | PNAS
    3 An integrated approach to quantifying uncertainties in the remaining carbon budget | Communications Earth & Environment (nature.com)
    4 Carbon is an emerging asset class, but what is it? Peter Sainsbury
    5 Global carbon markets value surged to record $851 bln last year-Refinitiv | Reuters
    6 EU Emissions Trading System (EU ETS) (europa.eu)
    7 How the voluntary carbon market can help address climate change | McKinsey
    8 Carbon credits: Scaling voluntary markets | McKinsey
    9 Nature-Based Solutions | UN Global Compact
    10 How rewilding the American West can help fight climate change | World Economic Forum (weforum.org)
    11 Scotland could become first ‘rewilded’ nation—what does that mean? (nationalgeographic.com)
    12 Rewilding project for 500,000 acres of Highlands - BBC News
    13 PowerPoint-Präsentation (ipcc.ch)

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