FT Rethink

    Startklar: Dank nachhaltiger Flugtreibstoffe nimmt die Branche Kurs auf Netto-Null

    Die Suche nach umweltfreundlicheren Transportmitteln ist entscheidend im Kampf gegen den Klimawandel. Doch während sich Elektroautos immer mehr durchsetzen, wird die elektrische Luftfahrt in absehbarer Zeit nicht realisierbar sein; die für den Betrieb eines Flugzeugs erforderlichen Batterien wären so schwer und voluminös, dass für Passagiere und Fracht wenig bis gar kein Platz mehr bliebe. Zudem würde das Aufladen – selbst bei vorhandener Infrastruktur – zu lange dauern. Auch Solarenergie ist keine Option: Kein Flugzeug könnte die Anzahl an Paneelen aufnehmen, die für das Aufladen der Batterien während des Fluges nötig wären.

    Die Luftfahrtindustrie muss sich somit weiterhin auf Flüssigenergie verlassen. Auf der Suche nach sauberer Energie für Flugzeuge zur möglichst umgehenden Dekarbonisierung dieser stark umweltbelastenden Branche ruhen die Hoffnungen auf nachhaltigen Flugtreibstoffen (Sustainable Aviation Fuel, SAF).

    SAF hat das Potenzial, die Dekarbonisierung der Luftfahrtindustrie voranzutreiben. Denn es wird aus Rohstoffen hergestellt, deren Kohlenstoff aus der Atmosphäre stammt

    SAF im Anflug

    SAF hat das Potenzial, die Dekarbonisierung der Luftfahrtindustrie voranzutreiben. Denn es wird aus Rohstoffen hergestellt, deren Kohlenstoff aus der Atmosphäre stammt. So werden die bei der Verbrennung von SAF in Flugzeugtriebwerken entstehenden Emissionen ausgeglichen. Attraktiv ist SAF gerade auch deshalb, weil es sich um einen sogenannten Drop-in-Treibstoff handelt: Er kann mit herkömmlichem Flugzeugtreibstoff gemischt und in bestehenden, nicht veränderten Flughafeninfrastrukturen, Triebwerken und Flugzeugen verwendet werden. Um die Dekarbonisierung zu beschleunigen, setzt die Luftfahrtindustrie also nicht auf Elektrifizierung, sondern auf die breite Einführung von SAF.

    Die Umstellung auf SAF hat bereits begonnen. Beispielsweise kann die neue 737 Max von Boeing mit einer 50:50-Mischung aus SAF und herkömmlichem Kerosin betrieben werden. Boeing sieht in SAF den grössten potenziellen Beitrag zur Dekarbonisierung. Das Unternehmen verpflichtete sich dazu, ab 2030 nur noch Flugzeuge auszuliefern, die für den Betrieb mit 100% SAF zertifiziert sein werden. Tatsächlich gaben die meisten Fluggesellschaften bereits Ziele für ihren SAF-Verbrauch bekannt; viele haben sogar Abnahmeverträge mit SAF-Herstellern unterzeichnet. Und die Umstellung wird sich noch beschleunigen – dank des Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA) der International Air Transport Association (IATA), das ambitionierte Ziele setzte in Bezug auf die SAF-Durchdringungsraten für die nächsten Jahre. Tatsächlich wird SAF bis 2030 über 6% des weltweiten Flugzeugtreibstoffs ausmachen1.

    Doch obwohl SAF eine vielversprechende Lösung darstellt, macht es aktuell noch immer weniger als 1% des weltweiten Flugtreibstoffs aus. Wenn SAF der neue Standard werden sollen, steht noch viel Arbeit an. Bestehende Flugzeuge müssen zwar nicht umgerüstet werden, wenn SAF mit einem hohen Anteil an herkömmlichem Kerosin gemischt wird; jedoch können Dichtungen undicht werden, wenn sie längere Zeit fossilen Treibstoffen ausgesetzt waren und dann mit hohen SAF-Anteilen in Kontakt kamen.

    Ausserdem müssen Triebwerks- und Treibstoffsystemkomponenten überprüft und möglicherweise ersetzt oder modifiziert werden, um die Kompatibilität und letztendlich die Sicherheit des Flugzeugs zu gewährleisten. Kurz gesagt: Es bedarf noch viel mehr Forschung und Entwicklung, bevor die Luftfahrtindustrie bereit ist, SAF als Primärtreibstoff zu verwenden. Das ecoDemonstrator-Programm von Boeing soll unter anderem das Bewusstsein für die Technologien schärfen, die wir benötigen, um den Einsatz von SAF zu steigern, und Investitionen in diese Technologien fördern.

    Lesen Sie auch (Artikel in Englisch): The long haul to zero emissions aviation

    Reiner Biotreibstoff-SAF wird beispielsweise aus Sojabohnen, Zuckerrohr oder Algen hergestellt: Durch Öl-Extraktion und -Raffinierung dieser Pflanzen entsteht ein brauchbarer Treibstoff

    Das Versprechen der Pflanzenkraft

    Es gibt verschiedene Arten von SAF – mit unterschiedlichen Eigenschaften.

    Reiner Biotreibstoff-SAF wird beispielsweise aus Sojabohnen, Zuckerrohr oder Algen hergestellt: Durch Öl-Extraktion und -Raffinierung dieser Pflanzen entsteht ein brauchbarer Treibstoff. Dieser reine Biotreibstoff-SAF ist bereits am Markt erhältlich. Seine Produktion muss aber bis 2050 auf rund 450 Milliarden Liter pro Jahr steigen, damit die Luftfahrtindustrie ihre Emissionsziele erreichen kann. Neste, der weltweit grösste Hersteller, produzierte im vergangenen Jahr lediglich 125 Millionen Liter SAF. Auch die Kosten stellen ein Hindernis dar, ist Biotreibstoff-SAF doch derzeit drei- bis fünfmal so teuer wie herkömmliches Kerosin.

    Neste investiert 1,9 Milliarden EUR in den Aus- und Umbau seiner Biodieselraffinerie in Rotterdam – eine vielversprechende Entwicklung, die die weltweite Produktionskapazität des Unternehmens auf rund 2,75 Milliarden Liter pro Jahr erhöhen wird. Und da die Produktion weiter ansteigt, dürften sich die Kosten von Biotreibstoff-SAF durch Skaleneffekte allmählich den Kosten von herkömmlichem Flugtreibstoff annähern. Inzwischen fördert der drittgrösste Flughafen Europas, Schiphol in Amsterdam, die Verwendung von SAF: Schiphol stellt SAF allen Flugzeugen zur Verfügung und bietet ausserdem einen finanziellen Anreiz, um die Preislücke zwischen herkömmlichen Flugtreibstoffen und SAF zu schliessen.

    Trotz dieser Entwicklungen werden jedoch die Passagiere wohl zumindest einen Teil der Kosten für die Umstellung auf SAF tragen müssen. Jonathan Wood, Vice President, Renewable Aviation Europe bei Neste, erklärt: „Wir sprechen von ein paar Dollar oder Euro pro Passagier bei einem SAF-Anteil von 2% bis 5%. Hier müssen wir beginnen und den Anteil im Laufe der Zeit allmählich steigern.“

    Reiner Biotreibstoff-SAF hat zwar das Potenzial, zur Dekarbonisierung der Luftfahrtindustrie beizutragen. Umweltschützer haben aber andere Bedenken. Denn der Anbau von Biotreibstoffpflanzen erfordert grosse Landflächen. Und da Staaten wie Brasilien bereits mit Landnutzungsänderungen und Abholzung zu kämpfen haben, würden die Umweltschäden durch den Anbau weiterer Pflanzen einige der Vorteile von reinem Biotreibstoff-SAF zunichtemachen. Paul Peeters, Professor am Centre for Sustainable Tourism and Transport der Universität Breda, betont: „Aufgrund dieser Landnutzung wird die Auswirkung auf das Klima nicht um 100% reduziert, sondern – wenn alles perfekt läuft – um 80%.“

    Lesen Sie auch: Herausforderung oder Chance? Branchen mit schwer reduzierbaren Emissionen neu denken

    Im Unterschied zu reinem Biotreibstoff-SAF vermeidet abfallbasierter Biotreibstoff-SAF Umweltschäden, die durch den Pflanzenanbau entstehen

    Ein Wunder auf Abfallbasis?

    Im Unterschied zu reinem Biotreibstoff-SAF vermeidet abfallbasierter Biotreibstoff-SAF Umweltschäden, die durch den Pflanzenanbau entstehen. Denn hierbei verwendet man Materialien, die ansonsten weggeworfen würden. Abfallbasierter SAF wird aus Rohstoffen wie Altspeiseöl, tierischen Fetten und Agrarabfällen hergestellt, die gesammelt, verarbeitet und zu einem brauchbaren Treibstoff raffiniert werden. Damit verringern sich zudem die Abfallmengen auf den Deponien, die ihrerseits schädliche Umweltauswirkungen haben.

    Allerdings ist abfallbasierter SAF auch mit erheblichen Nachteilen verbunden. Die für die Herstellung verwendeten Rohstoffe sind nicht unbeschränkt erhältlich, und zwar sowohl hinsichtlich Menge wie Verfügbarkeit. Und die Notwendigkeit, Verunreinigungen und Schadstoffe zu entfernen, bevor Rohstoffe in SAF umgewandelt werden, führt oft zu komplexeren, teureren Prozessen als bei der Herstellung reiner Biotreibstoff-SAF.

    SAF auf Abfallbasis wird daher stets nur einen Teil des Treibstoffbedarfs der Luftfahrtindustrie decken können. Dennoch bleibt dieser Teil ein vielversprechender Forschungs- und Entwicklungsbereich. Aufgrund der geringeren Umweltauswirkungen könnten abfallbasierte Treibstoffe neben reinem Biotreibstoff-SAF eingesetzt werden, um den Übergang der Branche zu einer emissionsarmen Zukunft zu beschleunigen.

     

    E-Fuels: Treibstoffe aus der Luft

    Eine weitere interessante Variante von SAF ist synthetischer Elektrotreibstoff, auch bekannt als E-Fuel. E-Fuels werden hergestellt, indem Kohlenstoff aus der Atmosphäre extrahiert und mit grünem Wasserstoff – aus sauberen Energiequellen wie erneuerbaren Energien oder Kernkraft – kombiniert wird. Das Gemisch wird in flüssigen Treibstoff umgewandelt, der für den Antrieb von Flugzeugen verwendet werden kann.

    E-Fuels sind besonders nachhaltige Flugtreibstoffe, denn die bei ihrer Verbrennung freigesetzten Emissionen werden durch das bei der Herstellung aus der Atmosphäre gebundene Kohlendioxid ausgeglichen. Mit anderen Worten: E-Fuels erreichen letztendlich das Netto-Null-Ziel, denn sie schliessen den Kohlenstoffkreislauf.

    Synthetische E-Treibstoffe sind jedoch weit von einer Markttauglichkeit entfernt. Die Verfahren zu ihrer Herstellung stecken noch in den Kinderschuhen. Erhebliche Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sind erforderlich, bevor sie auf breiter Front zum Einsatz gelangen können. Darüber hinaus sind die Produktionskosten für E-Treibstoffe nach wie vor sehr hoch; das dürfte die Einführung dieser Technologie kurzfristig behindern.

    Trotz dieser Herausforderungen gelten E-Fuels als vielversprechend für die Zukunft der Luftfahrt. Viele Experten gehen davon aus, dass sie eine entscheidende Rolle dabei spielen könnten, dass die Branche Netto-Null-Emissionen erreicht. Forscher und Branchenexperten arbeiten derzeit daran, den Produktionsprozess zu verfeinern und Wege zu finden, E-Treibstoffe erschwinglicher und zugänglicher zu machen.

    Lesen Sie auch (Artikel in Englisch): Shipping’s voyage to a net-zero future

    Für die Luftfahrtindustrie geht es dabei um mehr als die ökologische Nachhaltigkeit. Langfristig wird die Reduzierung der Emissionen auch dazu beitragen, die wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Branche zu sichern

    Auf dem Weg zu umweltfreundlicherem Fliegen

    Die Luftfahrtindustrie ist noch immer weit vom Netto-Null-Ziel entfernt. Der wachsende Druck, Lösungen zu finden und umzusetzen, treibt jedoch bedeutsame Innovationen und Investitionen in SAF voran.

    So erzielte Boeing bereits deutliche Fortschritte, indem sie erste Flüge mit gemischtem Treibstoff sowie den ersten kommerziellen Flug mit 100% SAF in einem Boeing 777-Frachter durchführten. Zudem erhielt Virgin Atlantic von der britischen Regierung die Mittel für den ersten Transatlantikflug von London nach New York, der zu 100% mit SAF betrieben wurde.

    Natürlich muss diese schwer zu dekarbonisierende Branche – um Netto-Null zu erreichen – weitere mögliche Methoden erforschen. Hierzu zählen die Modernisierung der Flotte, die betriebliche Effizienz sowie neue Flugzeugkonstruktionen wie schmalere Rümpfe und innovative gewichtssparende Materialien. Und auf längere Sicht könnten völlig neue Antriebsmethoden wie grüner Wasserstoff als Treibstoff den Netto-Null-Flug zur Realität werden lassen.

    Für die Luftfahrtindustrie geht es dabei um mehr als die ökologische Nachhaltigkeit. Langfristig wird die Reduzierung der Emissionen auch dazu beitragen, die wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Branche zu sichern. Da sich Menschen zunehmend für Produkte und Dienstleistungen entscheiden, die sowohl eine geringe Umweltbelastung als auch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten, muss sich die Luftfahrtindustrie verändern, wenn sie eine attraktive Art des Reisens bleiben will. Jonathan Wood von Neste erklärt: „Wenn wir nicht aufpassen, landet die Luftfahrt in der gleichen Schublade wie Tabak. Das wollen wir verhindern. Die Luftfahrt kann tatsächlich zur Weltverbesserung beitragen. Doch wir müssen eine Möglichkeit finden, dies sozialverträglich umzusetzen.“


     

    Prognosen von Lombard Odier

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG oder einer Geschäftseinheit der Gruppe (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig wäre, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende Abgabe rechtswidrig wäre.

    Entdecken Sie mehr.

    Sprechen wir.
    teilen.
    Newsletter.