100 Jahre Zölle: Die bewegte Geschichte des US-Handels

100 Jahre Zölle: Die bewegte Geschichte des US-Handels

Kernpunkte.

  • Die Wirtschaftsgeschichte der USA ist von protektionistischen Zyklen geprägt – vom Smoot–Hawley Tariff Act von 1930 bis zum Zollschock 2025 –, eingesetzt als Instrument zur Wahrung nationaler Interessen und oft zulasten des Welthandels
  • Der Freihandel – seit 1947 durch das GATT und seit 1995 durch die WTO geprägt – dominierte lange, doch die „glückliche Globalisierung“ der 1990er wich einem defensiven, kompetitiven Protektionismus
  • Unter Donald Trump erreichte die Zolleskalation eine Intensität wie seit der Zwischenkriegszeit nicht mehr; sie markiert einen Bruch in den internationalen Handelsbeziehungen und schwächt den Multilateralismus
  • Für offene Volkswirtschaften wie die Schweiz, die stark von ihren wichtigsten Handelspartnern abhängen, gilt es, Absatzmärkte zu diversifizieren und auf Innovation sowie Agilität zu setzen, um die Prosperität zu sichern.

Donald Trumps Handelsstrategie der letzten sechs Monate gleicht einem globalen Fortsetzungsroman. Jede Zollankündigung löst Kettenreaktionen aus, erschüttert die Märkte und verstärkt die wirtschaftliche Unsicherheit. Um die Erschütterungen des Welthandels zu verstehen, muss man sie in einem langfristigen Kontext betrachten. Es handelt sich nicht um die erste Kehrtwende der USA in Richtung Protektionismus: Ihre Wirtschaftsgeschichte ist geprägt von Phasen, in denen zum Schutz nationaler Interessen hohe Zollbarrieren aufgebaut wurden.

Noch nie jedoch seit der Zeit zwischen den Weltkriegen nahm der Protektionismus eine derart spektakuläre, systematische Form an wie im Frühjahr 2025.

Am 2. April 2025 feiert Donald Trump am sogenannten „Tag der Befreiung“ „einen der wichtigsten Tage der amerikanischen Geschichte“: Er kündigt „reziproke Zölle“ von mindestens 10% auf alle Einfuhren an. Für China sollen sogar 34%, für die EU 20% und für die Schweiz 31% gelten. Bestimmte Bereiche sind stärker betroffen – darunter Autoimporte, für die die Zölle auf 25% steigen.

Nie jedoch seit der Zeit zwischen den Weltkriegen nahm der Protektionismus eine derart spektakuläre, systematische Form an wie im Frühjahr 2025

Nach dieser Zollankündigung brechen die Märkte ein, der Ölpreis sinkt, der US-Dollar und US-Staatsanleihen sind nicht mehr gefragt. China reagiert mit Zöllen von 84% und setzt damit eine Eskalationsspirale in Gang. Es folgt eine Woche voller Turbulenzen. Anschliessend senkt Trump die Zölle für zahlreiche Länder nicht nur vorübergehend auf 10%; er setzt sie auch für 90 Tage aus und ermöglicht so bilaterale Verhandlungen. Zugleich erhöht er den Druck auf China, indem er bestimmte Zölle auf 125% anhebt, bevor er schliesslich doch eine Pause und eine Senkung auf 10% gewährt. Nach Ablauf dieser Zollpause folgt der nächste Schock: Die Schweiz wird an ihrem Nationalfeiertag mit unfassbar hohen Zöllen von 39% belegt.

Diese beiden Phasen markieren einen Umbruch in den internationalen Handelsbeziehungen: Sie bedrohen den Freihandel, wie er seit der Unterzeichnung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) im Jahr 1947 praktiziert wird. Haben wir es mit dem Beginn einer neuen Ära oder mit der Rückkehr des Protektionismus „made in USA“ zu tun? Ein Rückblick auf einhundert Jahre Zollschranken gibt Aufschluss.

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1930: Zölle lähmen den Welthandel

Protektionismus war schon immer ein amerikanischer Reflex. In den 1930er-Jahren werden die USA hart von der Grossen Depression getroffen und versuchen vergeblich, ihre Wirtschaft zu schützen. Senator Reed Smoot und das Mitglied des Repräsentantenhauses Willis C. Hawley, beide Republikaner, formulieren den Smoot-Hawley Tariff Act. Dieser wird 1930 von Präsident Herbert Hoover unterzeichnet und soll die Industrie und die Landwirtschaft der USA in der Krise schützen. Das Gesetz hat zur Folge, dass die Zölle auf über 20’000 Produkte in die Höhe schnellen. Zudem ergreifen viele Länder – darunter Kanada, Mexiko, Frankreich und sogar die Schweiz – Gegenmassnahmen. Eine Zollspirale führt in der Zeit zwischen den Weltkriegen zu einer Wirtschaftskrise samt Rückgang des Welthandels. Zwischen 1929 und 1934 bricht er um ungefähr 66% ein.1 In der Folge verabschiedet die Roosevelt-Regierung 1934 den Reciprocal Trade Agreements Act. Ziel ist es, durch flexiblere bilaterale Übereinkommen einen Ausweg aus der nationalistischen Falle zu finden.2

Diese Episode belegt, dass Abschottung alles andere als eine nachhaltige Lösung darstellt. Vielmehr hat sie die Weltwirtschaftskrise noch verstärkt und im kollektiven Gedächtnis der USA dauerhafte Spuren hinterlassen. Bis heute dient sie als Negativbeispiel, wenn die Rede auf Protektionismus in den USA kommt.

Vom GATT zur WTO: Genf, Hauptstadt des Freihandels

1947, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, versammelt sich die Weltwirtschaftselite schliesslich in einer Welt, die noch in Trümmern liegt. Sie will erneuten Protektionismus verhindern. Das GATT-Abkommen (General Agreement on Tarifs and Trade) wird von rund 20 Staaten in Genf unterzeichnet. Darin verpflichten sie sich zur Senkung ihrer Zölle auf Tausende Produkte.

Ursprünglich ist das Abkommen als befristete Regelung gedacht und soll durch eine echte Welthandelsorganisation ersetzt werden. Politische Meinungsverschiedenheiten zwischen den wichtigsten Beteiligten blockieren das Projekt jedoch. Fast fünfzig Jahre lang dient das GATT als Rahmen für Handelsgespräche, bis schliesslich 1995 die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet wird.

Diese Abkommen sorgen für einen radikalen Wandel des Welthandels. Der durchschnittliche weltweite Zolltarif, der 1947 bei über 20% lag, fällt 1994 in den Industrieländern unter 4%

Mehrere – insbesondere die nachfolgend genannten – Welthandelsrunden3 bringen schrittweise Erleichterung. Die Dillon-Runde (1960–1962) sieht eine Zollsenkung auf gehandelte Waren im Wert von USD 4,9 Mrd. vor, die Kennedy-Runde (1964–1967) eine durchschnittliche Zollsenkung um 35%. Die Tokio-Runde (1973–1979) wendet sich erstmals nicht-tarifären Handelshemmnissen zu. Die letzte und wichtigste, die Uruguay-Runde (1986–1994), führt zur Gründung der WTO im Jahr 1995.4 Diese Abkommen sorgen für einen radikalen Wandel des Welthandels. Der durchschnittliche weltweite Zolltarif, der 1947 bei über 20% lag, fällt 1994 in den Industrieländern unter 4%.5

Die USA in den 2000er-Jahren oder das Ende der glücklichen Globalisierung

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Konsens über den Freihandel in den USA wohl in erster Linie Folge der wirtschaftlichen Dominanz des Landes gegenüber Europa. Der alte Kontinent befindet sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Wiederaufbau. Hinzu kommt der Wunsch nach einer wirtschaftlichen Integration der westlichen Volkswirtschaften angesichts des Kommunismus.

Die 1990er-Jahre gelten lange als Goldenes Zeitalter der glücklichen Globalisierung und des Freihandels. Die USA beginnen jedoch, dieses Modell langsam, aber nachhaltig zu schwächen – insbesondere nach der Unterzeichnung des NAFTA, zunehmenden Importen aus China und später der Finanzkrise 2008. Es entsteht das, was manche als wettbewerbsorientierte Liberalisierung bezeichnen.6 Das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen der Globalisierung auf bestimmte US-Wirtschaftssegmente wie Standortverlagerungen, die Schwächung des verarbeitenden Gewerbes und ein höheres Handelsdefizit wächst.7

Die Präsidenten Clinton, Bush und Obama greifen daher verstärkt auf defensive Handelsinstrumente zurück. Insbesondere möchte die Regierung Bush 2002 Stahlimporte mit Zöllen zwischen 8% und 30% belegen, um die heimische Stahlindustrie zu „retten“. In der Realität haben diese Zölle gerade einmal 21 Monate Bestand – statt, wie ursprünglich vorgesehen, drei Jahre: Die WTO erachtet sie als unrechtmässig, und ihr wirtschaftlicher Nutzen ist enttäuschend.8

Donald Trump 2016 eine extrem protektionistische Handelspolitik ein. Begründet wird dies mit der Absicht, das Handelsbilanzdefizit der USA zu senken und als strategisch erachtete Branchen zu schützen

Vor diesem Hintergrund leitet Donald Trump 2016 eine extrem protektionistische Handelspolitik ein. Begründet wird dies mit der Absicht, das Handelsbilanzdefizit der USA zu senken und als strategisch erachtete Branchen zu schützen. Gestützt auf den Trade Expansion Act von 1962 führt die Trump-Regierung Importzölle von 25% auf Stahl und 10% auf Aluminium ein. Betroffen sind sowohl Verbündete – wie die Europäische Union, Kanada und Mexiko – als auch Rivalen.9

Zugleich beginnt Washington auf der Grundlage des Trade Act von 1974 einen Handelskrieg mit China. Nach und nach werden chinesische Waren im Wert von über USD 360 Mrd. mit Zöllen belegt, was mit unlauteren Geschäftspraktiken und dem Diebstahl geistigen Eigentums begründet wird.10 Diese Schritte ziehen unmittelbare Gegenmassnahmen nach sich, von denen vor allem US-Agrarexporte betroffen sind. Trump stellt seine Strategie als ein Mittel dar, um die Produktion zurück in die USA zu verlagern und Industriearbeitsplätze zu schaffen. Doch sie führt auch zu diplomatischen Spannungen, höheren Kosten für viele US-Unternehmen und mehr Unsicherheit auf den Weltmärkten. Joe Biden bricht zwar nicht vollständig mit dem von Trump eingeführten Protektionismus. Aber er schliesst 2021 ein Übereinkommen mit der Europäischen Union, das den Konflikt um Stahl- und Aluminiumimporte beendet. Statt Zöllen gelten nun Importquoten. Biden setzt auf „kooperativen Protektionismus“, der auf den Schutz strategischer Sektoren, die Rückverlagerung der Produktion sowie Handelsallianzen zur Sicherung der Lieferketten ausgerichtet ist.

Biden setzt auf „kooperativen Protektionismus“, der auf den Schutz strategischer Sektoren, die Rückverlagerung der Produktion sowie Handelsallianzen zur Sicherung der Lieferketten ausgerichtet ist

Und wo steht die Schweiz?

Der Wohlstand der heutigen Schweiz beruht auf Öffnung und Freihandel. Das Land setzt auf Innovation, Spezialisierung auf Schlüsselbranchen und die Qualität seiner Fachkräfte. Die Wirtschaft zählt zu den wettbewerbsfähigsten weltweit, wozu insbesondere die Pharmabranche, die Uhrenindustrie, Präzisionsmaschinen und der Finanzsektor beitragen. Die Schweiz profitiert vom Multilateralismus und verfügt über ein umfassendes Netz an Freihandelsabkommen, das über die EFTA sowie bilaterale Verträge mehr als 70 Handelspartner abdeckt. Hinzu kommen ihre Flexibilität und ihre Anpassungsfähigkeit. Sie kann rasch auf weltweite Konjunkturentwicklungen reagieren und ihre Unternehmen für die neuen Herausforderungen neu aufstellen.

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Andererseits ist die Schweiz durch ihre Öffnung nach aussen stark abhängig von ihren wichtigsten Exportmärkten – den USA, der Europäischen Union und China. Zudem verfügt sie bei einseitigen Entscheidungen von Grossmächten nur über beschränkten Spielraum. Sie hat weder das erforderliche politische Gewicht noch die nötige Marktgrösse, um alleine den Kurs ihrer Partner zu beeinflussen. Die jüngsten Geschehnisse machen dies mehr als deutlich: Die gescheiterten Verhandlungen zwischen dem Bundesrat und den USA führten zu Zöllen von 39% auf zahlreiche Produkte. Mehrere symbolträchtige Sektoren brachte dies in Schwierigkeiten, und die bisherige Unfähigkeit, Zwang auszuüben, wurde offensichtlich.

Für Exportwirtschaften wie die Schweiz geht es jetzt darum, ihr Modell anzupassen. Sie müssen ihre Absatzmärkte diversifizieren, Bündnisse festigen und auf ihre Innovationsfähigkeit sowie die Flexibilität ihrer Wirtschaft setzen

Der Protektionismus in den USA zieht sich damit wie ein roter Faden durch die Geschichte des Landes. In unsicheren Zeiten oder bei schwächelnder Wirtschaft gewinnt er jeweils wieder die Oberhand. Vom Smoot-Hawley Act 1930 über den 2018 begonnenen Handelskrieg gegen China bis zum Zollschock 2025: Die USA greifen regelmässig zur „Zollwaffe“, um ihre strategischen Interessen zu verteidigen. Die Wirksamkeit dieser Politik bleibt jedoch umstritten. Sie schützt weder Arbeitsplätze noch die Industrie dauerhaft. Stattdessen verschärft sie oft Spannungen, lähmt den Handel und schwächt die internationale Zusammenarbeit. Die aktuelle Phase ist eine neue Ruptur. Sie widerspiegelt die Schwächung des Multilateralismus und ein neues Zeitalter fragmentierten Handels, in dem Blockbildung und Kräfteverhältnisse mehr zählen als gemeinsame Regeln. Für Exportwirtschaften wie die Schweiz geht es jetzt darum, ihr Modell anzupassen. Sie müssen ihre Absatzmärkte diversifizieren, Bündnisse festigen und auf ihre Innovationsfähigkeit sowie die Flexibilität ihrer Wirtschaft setzen. Das ist der Preis für die Wahrung ihres Wohlstands und ihr Gewicht in einer Welt, in der Protektionismus zur Konstante der amerikanischen Geschichte wird.

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