Weltordnung im Wandel zwischen Konjunkturabschwächung und geopolitischer Neuausrichtung

Weltordnung im Wandel zwischen Konjunkturabschwächung und geopolitischer Neuausrichtung

Die historische Weltordnung befindet sich im Wandel. Etablierte Mächte verlieren an Strahlkraft, während neue Akteure an Einfluss gewinnen. Die bisherige wirtschaftliche und geopolitische Hierarchie gerät ins Wanken, und vertraute Sicherheitsmuster verändern sich. Die US-amerikanische Hegemonie wird zunehmend infrage gestellt, nationalistische Strömungen gewinnen an Bedeutung, und die Machtverhältnisse verschieben sich. Das Zeitalter der westlichen Vormachtstellung geht allmählich zu Ende.

Wie wird die Welt aus diesem Wandel hervorgehen? Wie kann sich Europa an die Entwicklungen in China und den Vereinigten Staaten anpassen, nachdem es seine bisherige Beobachterrolle aufgeben musste? Welches neue Gleichgewicht wird entstehen, und welche Anlagestrategien sind in diesem unsicheren Umfeld angebracht?

Diese Fragen standen im Mittelpunkt unserer jüngsten Veranstaltung Rethink Perspectives am 12. Juni 2025 am IMD in Lausanne, an der vier renommierte Experten teilnahmen: zum einen Xavier Bonna, geschäftsführender Teilhaber bei Lombard Odier, und Samy Chaar, Chefökonom und CIO Schweiz von Lombard Odier; zum anderen Gérard Araud, ehemaliger französischer Botschafter in den USA, sowie Stéphane Pedraja, Leiter der Geschäftsstellen Lausanne, Vevey, Freiburg und Verbier von Lombard Odier, der die abschliessende Fragerunde moderierte. Ein Rückblick auf eine aussergewöhnliche Konferenz.

Die USA haben die anderen entwickelten Volkswirtschaften zwar in den vergangenen Quartalen deutlich übertroffen. Doch die Dynamik verändert sich, auch wenn durch den „Übergang zu einer konjunkturellen Abschwächung“ eine Rezession vermieden werden dürfte

Zwischen Chancen und Instabilität: Eine Realität mit zweierlei Geschwindigkeiten

Xavier Bonna wies einleitend darauf hin, dass das aktuelle Anlageumfeld von gegensätzlichen Entwicklungen geprägt ist: „Die Energiewende ist eingeleitet, befindet sich auf einem guten Weg und beschleunigt sich. Im Gesundheitswesen werden bahnbrechende Innovationen erzielt, der technologische Fortschritt schreitet rasant voran, und neue Geschäftsmodelle bieten äusserst interessante Anlagechancen.“ Er betonte aber auch: „Zugleich wird die Welt um uns herum täglich volatiler, unsicherer und schwerer einschätzbar – geopolitisch, wirtschaftlich und auch gesellschaftlich.“

Samy Chaar ergänzte: „Im Jahr 2025 wandelt sich das Narrativ.“ Er eröffnete den makroökonomischen Exkurs mit deutlichen Worten und unterstrich, dass der Zyklus des starken US-Wachstums – im Gegensatz zum robusten Aufschwung Anfang 2024 – sich dem Ende nähert. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die zunehmende Unsicherheit sowie neue Zollankündigungen am „Liberation Day“. Die USA haben die anderen entwickelten Volkswirtschaften zwar in den vergangenen Quartalen deutlich übertroffen. Doch die Dynamik verändert sich, auch wenn durch den „Übergang zu einer konjunkturellen Abschwächung“ eine Rezession vermieden werden dürfte.

Zwei Faktoren belasten die Wirtschaftstätigkeit: Für Unternehmen ist das Umfeld schwer prognostizierbar – insbesondere mit Blick auf die Importe. Zudem sind die Auswirkungen der protektionistischen Massnahmen der USA auf die Inflation ungewiss. „Wir bewegen uns aufgrund der Zölle der Trump-Regierung auf eine temporäre Inflation zu, die 2025 rund 3,5% betragen wird“, so Samy Chaar. „Dieses Inflationsniveau liegt weiterhin unter dem durchschnittlichen Lohnwachstum und weist auf einen Rückgang der realen Einkommen hin, nicht aber auf eine Kontraktion.“ Entscheidend ist hier die Widerstandsfähigkeit des Arbeitsmarktes. „Solange die Amerikaner ihren Arbeitsplatz behalten, bleibt der Konsum stabil. Doch das Risiko eines Kaufkraftschocks bleibt bestehen“, warnte Samy Chaar. „Den Übergang von einem anhaltenden Wachstum zu einem Abschwung haben sich die USA selbst zuzuschreiben.“

Lesen Sie auch: US-Verlangsamung und Erwachen Europas verändern Ausblick – wie investieren?

Auch der vom US-Repräsentantenhaus verabschiedete Bundeshaushalt ist ein wichtiger Aspekt. „Dieser Haushalt trägt nicht dazu bei, das US-Defizit zu reduzieren. Er erhöht es aber auch nicht“, erläuterte Samy Chaar. So dürfte es sich bis 2028 bei rund 6% bis 7% bewegen: „Auch das stellt keine Explosion des Haushaltsdefizits dar“.

Vielmehr geht es um die Struktur der Staatsausgaben: „Das Defizit verliert an Qualität“, betonte der Chefökonom von Lombard Odier. „Es finanziert nicht mehr in erster Linie Zukunftsinvestitionen wie Energie, Technologie und Verteidigung, sondern wahllose Steuersenkungen für diejenigen, die sie nicht brauchen.“ Doch diese Massnahmen fördern weder den Konsum noch Investitionen ausreichend, sodass sich die Finanzierungskosten der Schulden dauerhaft verteuern.

Wie schlägt sich das in den Portfolios nieder? „In einer durchdachten Umschichtung“, erklärte Samy Chaar. „Wir haben unser Engagement in US-Aktien, im US-Dollar und in Technologietiteln schrittweise reduziert und in Europa, die Schwellenländer und alternative Währungen umgeschichtet“, erläuterte er. „Wir bauen hier Verteidigungslinien auf, um die Portfolios zu stabilisieren.“ Dabei werden Instrumente wie Gold, der Schweizer Franken sowie Private Credit und strukturierte Lösungen für qualifizierte Anlegerinnen und Anleger mobilisiert, um die Widerstandsfähigkeit der Portfolios zu wahren.

Gold, der Schweizer Franken sowie Private Credit und strukturierte Lösungen für qualifizierte Anlegerinnen und Anleger mobilisiert, um die Widerstandsfähigkeit der Portfolios zu wahren

Europa ist angesichts der neuen Weltordnung zum Handeln aufgerufen

Die Aussage von Samy Chaar ist eindeutig: „Das Modell der gegenseitigen Abhängigkeit existiert nicht mehr. Wir befinden uns in einer deutlich fragmentierteren Welt. Heute erhöht jegliche Form der gegenseitigen Abhängigkeit die Verwundbarkeit und ist kein Vorteil mehr.“ Welchen Platz nimmt Europa in dieser neuen Weltordnung ein? Um die Verwundbarkeit zu minimieren, muss der alte Kontinent Samy Chaar zufolge massiv in vier Schlüsselindustrien investieren: Energie, Verteidigung, Technologie und Infrastruktur. In diesen Sektoren muss Europa die Kontrolle zurückerlangen, um den Rückstand zu den USA und China aufzuholen.

Die USA haben in den vergangenen Jahren massive Investitionen getätigt: Mit Programmen wie dem Inflation Reduction Act (IRA) und dem CHIPS Act passten sie ihren Produktionsapparat an dieses neue Paradigma an. Europa tritt dagegen auf der Stelle. „Die Amerikaner haben USD 3’000 Mrd. mobilisiert – das entspricht zwei Marshall-Plänen. In Europa stagnieren die Investitionen aktuell.“ Der kürzlich von Deutschland angekündigte Investitionsplan in Höhe von EUR 600 Mrd. könnte jedoch einen Wendepunkt darstellen.

Doch es geht um mehr als nur das Investitionsvolumen: Die strategischen Prioritäten müssen neu definiert werden. „Wir müssen höhere Investitionen akzeptieren und die Kapitalmärkte stärker nutzen. Das bedeutet auch, mehr Verschuldung in Kauf zu nehmen, sofern sie produktiven Investitionen wie Energieunabhängigkeit, Verteidigung, Infrastruktur und Technologie dient.“

Lesen Sie auch: 10 Anlageüberzeugungen für das 2. Halbjahr 2025

Entgegen der weit verbreiteten Annahme ist die Haushaltslage in Europa nicht so prekär wie oftmals dargestellt. „Die meisten Länder weisen eine ausgeglichene Leistungsbilanz oder sogar einen Überschuss auf. Damit besteht ausreichend Handlungsspielraum, sofern Fehler vermieden werden.“ Samy Chaar veranschaulicht dies am Beispiel Frankreichs: „Wenn wir den Sparüberschuss der privaten Haushalte, der Banken und der Unternehmen betrachten, ist die Leistungsbilanz von Frankreich ausgeglichen. Das gilt auch für zahlreiche andere europäische Länder.“

Rückzug der USA und Isolierung Europas: eine ungefilterte Analyse von Gérard Araud

Im Anschluss an die makroökonomische Analyse von Samy Chaar bot Gérard Araud eine prägnante Einschätzung der weltweiten geopolitischen Landschaft. Dabei nahm er kein Blatt vor den Mund: „Donald Trump ist nicht die Krankheit, er ist ein Symptom“, stellte er zu Beginn fest. Er forderte dazu auf, sich nicht auf eine einzelne Person zu konzentrieren, sondern darauf, was sie für den Westen in der Krise bedeutet. „Wir müssen versuchen, zu verstehen, was die Krise bedeutet – mit Trump als hervorstechendem Symbol.“

„In dieser neuen Weltordnung wollen die USA nicht länger die Rolle der Weltpolizei einnehmen.“ Diese strategische Erschöpfung zeigt sich heute in einem immer stärkeren diplomatischen und militärischen Rückzug

Für Gérard Araud handelt es sich um eine tiefgreifende strukturelle Krise, die alle liberalen Demokratien betrifft. „Dieselbe Krise, die wir bei den rechtsextremen politischen Bewegungen in Frankreich und allen anderen liberalen Demokratien beobachten können. Eine innenpolitische Krise, die fatale Folgen für die Geopolitik hat, denn sie geht mit dem Zusammenbruch der bestehenden Weltordnung einher: „Der Westen hat seine Strahlkraft verloren. Die Welt, in der wir seit dem Fall des kommunistischen Blocks Anfang der 1990er-Jahre die Vormachtstellung innehatten, geht nun zu Ende. Die Folge ist eine allgemeine Neujustierung der Machtverhältnisse.“ Sichtbar wird sie vor allem an der Rückkehr Russlands auf die Weltbühne, der zunehmenden Bedeutung von Mächten wie Indien oder Brasilien und insbesondere dem Aufstieg Chinas. „Im Jahr 1975 betrug das BIP Chinas – gemessen an der Kaufkraftparität – 15% des BIP der USA. Heute liegt es bei 115% des BIP der USA, und das innerhalb von weniger als einem halben Jahrhundert“, erläuterte Araud.

„In dieser neuen Weltordnung wollen die USA nicht länger die Rolle der Weltpolizei einnehmen.“ Diese strategische Erschöpfung zeigt sich heute in einem immer stärkeren diplomatischen und militärischen Rückzug. „Die USA wollen sich heute primär ihren internen Angelegenheiten widmen und weniger dem Rest der Welt“, sagte Araud geradeheraus. In dieser neuen Weltarchitektur hat Europa eine geschwächte Position: „In den Augen der Amerikaner ist Europa eindeutig an den Rand der Welt gerückt.“ Dies zeigt sich im schrittweisen Rückzug der USA aus der Ukraine. „Was tun die Europäer, wenn Trump die Ukraine im Stich lässt? Ziehen sie selbst in den Kampf?“, fragte Araud. Die fragmentierte europäische Verteidigungsindustrie ist technologisch stark von den USA abhängig und kann bis heute kein Waffenvolumen produzieren, das mit dem Russlands vergleichbar ist. Daher ist dieses Szenario Araud zufolge „alles andere als sicher“.

Lesen Sie auch: Geopolitik, Nahost: Wie sollen Anleger reagieren? | Lombard Odier

Seiner Ansicht nach ist die geohistorische Diversität Europas auch seine Achillesferse: „Wir sind 27 Länder mit äusserst unterschiedlichen Geografien und Vergangenheiten.“ Das macht es für die europäischen Länder schwer, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Die strategische Trägheit wurde durch ein jahrzehntelanges komfortables Leben im Schatten der USA gefördert. „In dem Paradies, in dem wir lebten, wehte die US-amerikanische Flagge.“ Diese Zeiten sind dem französischen Botschafter zufolge vorbei. Der Westen wird „von den weltweiten Machtverhältnissen unter Druck gesetzt“ und ist von Spannungen zwischen den USA und Europa geprägt.

Peking begnügt sich nicht länger mit der Rolle einer blossen Wirtschaftssupermacht. Stattdessen arbeitet es über die BRICS+, die Neue Seidenstrasse und informelle Allianzen aktiv an der Gestaltung einer neuen internationalen Ordnung

Beziehungen im Zeichen der Machtverhältnisse

„Wir treten in eine von geopolitischen Spannungen geprägte Welt ein – eine Welt, in der Machtverhältnisse den Ton angeben“, erklärte Gérard Araud. Dieses neue Paradigma weist Parallelen zur Zwischenkriegszeit auf. Araud möchte jedoch keine Weltuntergangsstimmung verbreiten. „Wir schreiben nicht das Jahr 1938. Es gibt keinen Hitler. Vor allem aber werden die Grossmächte noch durch gemeinsame Herausforderungen geeint.“ Die grösste Herausforderung ist der Klimawandel – ein Problem, dem sich weder die USA noch China allein stellen können.

Angesichts dieser globalen Themen sollte Europa, so Araud, in der Lage sein, eine gemeinsame Sprache zwischen den Grossmächten zu finden: „Es gibt Probleme, die die gesamte Menschheit betreffen. Diese Herausforderung können nur die Europäer annehmen.“ Als Beleg führte er die COP21 im Jahr 2015 an, die im Pariser Klimaabkommen mündete: für ihn ein Paradebeispiel erfolgreicher diplomatischer Führung. „Europa ist gelungen, was alle für unmöglich hielten: alle Länder zur Unterschrift zu bewegen.“

Zum Abschluss der Veranstaltung moderierte Stéphane Pedraja eine Fragerunde. Samy Chaar hob dabei zwei besonders überraschende Entwicklungen in der zweiten Amtszeit von Donald Trump hervor: Zum einen eine „anfänglich weniger wirtschaftsfreundliche Haltung als erwartet“, die zu einem Klima der Unsicherheit führte. Zum anderen eine Zolloffensive von bisher unbekanntem und unerwartetem Ausmass. „Es geht nicht um einen Anstieg von 5% auf 10%, sondern von 15% auf 30%“, betonte er und verwies damit auf eine deutlich aggressivere Handelsstrategie als erwartet.

Diese aufstrebenden Mächte – von Indonesien bis Brasilien – müssen strategische Partner Europas werden, möchte der Kontinent in einer sich wandelnden Welt weiterhin eine zentrale Rolle spielen

Die Polarisierung zwischen den USA und China nimmt zu. Peking begnügt sich nicht länger mit der Rolle einer blossen Wirtschaftssupermacht. Stattdessen arbeitet es über die BRICS+, die Neue Seidenstrasse und informelle Allianzen aktiv an der Gestaltung einer neuen internationalen Ordnung. Vor diesem Hintergrund forderte Gérard Araud Europa auf, seine Partnerschaften zu diversifizieren. „Diese Weltsicht hat einen entscheidenden Fehler: Sie ignoriert 190 Länder, die sich nicht länger in traditionelle Einflussgebiete einordnen lassen wollen,“ warnte Araud. So ist Indien längst kein ungebundener Akteur mehr, sondern eine autonome Macht mit einer eigenen diplomatischen und strategischen Agenda. Auch Afrika, lange von Europa vernachlässigt, entwickelt sich zunehmend zu einer bedeutenden Einflusszone, in der China und Russland ihre Präsenz angesichts des europäischen Rückzugs ausbauen. Für Araud gilt: Diese aufstrebenden Mächte – von Indonesien bis Brasilien – müssen strategische Partner Europas werden, möchte der Kontinent in einer sich wandelnden Welt weiterhin eine zentrale Rolle spielen.

Diese Entwicklungen bestärken uns bei Lombard Odier in unserer festen Überzeugung. Wir wollen unsere Kundinnen und Kunden in diesen turbulenten, volatilen und von geopolitischer Fragmentierung geprägten Zeiten begleiten und unterstützen. Wir treten bewusst einen Schritt zurück, um mit der erforderlichen Weitsicht kluge und zukunftsorientierte Anlageentscheidungen zu treffen.

Wichtige Hinweise.

Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende.

Entdecken Sie mehr.

Kontaktieren Sie uns.

Bitte wählen Sie einen Wert aus.

Bitte geben Sie Ihren Vornamen ein.

Bitte geben Sie Ihren Nachnamen ein.

Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Bitte geben Sie eine gültige Rufnummer ein.

Bitte wählen Sie einen Wert aus.

Bitte wählen Sie einen Wert aus.

Bitte geben Sie eine Nachricht ein.


Etwas angehängt, Nachricht nicht gesendet.
Lombard Odier Fleuron
Sprechen wir.
teilen.
Newsletter.