rethink sustainability

    Entsorgung im All vs. Tiefenlager: Lösung des Atommüllproblems

    Entsorgung im All vs. Tiefenlager: Lösung des Atommüllproblems

    Am 9. März 2022 fällte die Europäische Kommission ihr mit Spannung erwartetes Urteil über die Umweltfreundlichkeit der Kernenergie. Die Kommission kam zu dem Schluss, die Kernenergie könne «einen Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der [Europäischen] Union leisten». Mit dieser Entscheidung stufte sie Atomkraft als ökologisch nachhaltig ein und ebnete den Weg für Investitionen in die nächste Generation von Kernkraftwerken.

    Lies auch: Die Chancen der Dekarbonisierung – der Aufstieg preiswerter, sauberer Energie

    Die Entscheidung ist Teil eines wachsenden Trends, da sich die Regierungen angesichts der Sorge um die Energiesicherheit und der zunehmenden Dringlichkeit, die Netto-Null-Ziele zu erreichen, der Kernenergie zuwenden. Zu Jahresbeginn kündigte der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson an, das Vereinigte Königreich werde seine Investitionen in diesem Sektor erhöhen und strebe einen Kernenergieanteil von 25% an der Stromerzeugung des Landes an. US-Präsident Joe Biden plant Investitionen von USD 6 Milliarden, um zu verhindern, dass Atomkraftwerke vom Netz genommen werden müssen. Und Präsident Macron hat «die Wiedergeburt der französischen Atomindustrie» versprochen. Japan kündigte in einer unerwarteten Kehrtwende nach der Fukushima-Katastrophe an, seine stillgelegten Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen und die Entwicklung von Reaktoren der nächsten Generation zu prüfen.1 Weltweit sind derzeit mehr als 50 Reaktoren im Bau, 90 sind bestellt oder geplant und über 300 weitere wurden beantragt.2

    Die Kommission kam zu dem Schluss, die Kernenergie könne «einen Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der [Europäischen] Union leisten

    Diese Renaissance der Kernkraft findet jedoch nicht nur Zustimmung. Obwohl von Atomkraftwerken nahezu keine Treibhausgase emittiert werden, war die Entscheidung der EU umstritten. Die österreichische Energie- und Klimaministerin, Leonore Gewessler, bezeichnete den Schritt als «Greenwashing» und drohte mit rechtlichen Schritten. Mehrere EU-Regierungen kündigten an, gegen die Entscheidung zu stimmen.

    Der Bau von Atomkraftwerken sei teuer und zeitaufwändig, argumentieren die Gegner der EU-Entscheidung. Ihrer Meinung nach sollte das Geld besser in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert werden und nicht in den Bau von Kraftwerken, die voraussichtlich erst in zehn Jahren ans Netz gehen können. Und dann ist da noch das Problem des Atommülls. Seit Beginn der heimischen Atomstromerzeugung in den 1950er-Jahren hat sich eine Viertelmillion Tonnen hochradioaktiver abgebrannter Brennstäbe angesammelt.

    Die wenigen realistischen Optionen für ihre Endlagerung sind technisch anspruchsvoll und kostspielig und stossen bei den betroffenen Kommunen auf heftigen Widerstand.

    Lies auch: Aktienmarktrenditen und die Energiekrise

    Diese Renaissance der Kernkraft findet jedoch nicht nur Zustimmung… [die Gegner der EU-Entscheidung meinen] das Geld besser in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert werden und nicht in den Bau von Kraftwerken

    Recycling löst nicht alle Probleme

    Auf der Halbinsel Cotentin in Nordfrankreich befindet sich die Wiederaufbereitungsanlage La Hague, die Kapazität für die Wiederaufbereitung von fast der Hälfte der zivilen Brennelemente weltweit bietet. Seit fast 50 Jahren werden in La Hague abgebrannte Brennelemente recycelt, und es werden sogar Abfälle aus Australien und China angenommen. 

    In den meisten Kernreaktoren gilt ein Brennstab bereits als «verbraucht», wenn nur 4 % des darin enthaltenen Urans den Prozess der Kernspaltung durchlaufen haben, bei dem enorme Mengen an Energie freigesetzt werden und das Uran gefährlich instabil wird. Das bedeutet, dass 96% des Materials wiederaufbereitet werden können. Bis heute wurden in La Hague 34'000 Tonnen Atommüll recycelt – genug, um die französischen Atomkraftwerke mehr als 20 Jahre lang zu versorgen.3

    Bis heute wurden in La Hague 34'000 Tonnen Atommüll recycelt – genug, um die französischen Atomkraftwerke mehr als 20 Jahre lang zu versorgen

    Die Wiederaufbereitung von Atommüll ist von Natur aus riskant. In den USA ist das Recycling von zivilem Atommüll sogar komplett verboten. Auch für die restlichen 4 %, den hochradioaktiven verbrauchten und nicht recyclingfähigen Uranbrennstoff, der mindestens für die nächsten hunderttausend Jahre gefährlich bleiben wird, gibt es noch keine Lösung. In La Hague wird dieses hochradioaktive Material verglast. Das bedeutet, dass es mit geschmolzenem Glas vermischt wird, bevor es in Edelstahlbehälter gegossen und eingelagert wird. In diesen Lagern warten die Abfälle auf Ideen, was mit ihnen geschehen soll.

    Lies auch: Können plastikfressende Enzyme das Recyclingproblem lösen?

     

    Auf den Mond schiessen

    Im Mai 1978 wurde in einer technischen Studie der NASA die Möglichkeit geprüft, Atommüll ins All zu schicken.4 Eine der geprüften Optionen bestand darin, den Abfall in eine Umlaufbahn um den Mond zu schicken, um ihn dann sanft auf der Mondoberfläche landen zu lassen oder ihn auf Kollisionskurs mit der Sonne zu bringen. Das Technical Paper 1225 kam zu dem Schluss, dass «die Entsorgung von hochradioaktivem Atommüll im Weltraum vom technischen Standpunkt aus machbar zu sein scheint». Der Bericht warnte jedoch, dass «Ausfälle von Sicherungs- und Versorgungssystemen das Abfallpaket in eine ungeplante Umlaufbahn bringen könnten, aus der es geborgen werden müsste» und dass «ein Schutzsystem gegen den Wiedereintritt im Falle eines katastrophalen Ereignisses vor Erreichen der Erdumlaufbahn eingerichtet werden müsste».

    Auf ihrer 70-jährigen Suche nach Lösungen haben Forschende auch noch eine Reihe weiterer, unkonventioneller Lösungen in Betracht gezogen. Dazu gehörte die Lagerung des Atommülls auf antarktischen Eisplatten…. die Lagerung des Mülls unter sich verschiebenden tektonischen Platten der Erdkruste…

    Auf ihrer 70-jährigen Suche nach Lösungen haben Forschende auch noch eine Reihe weiterer, unkonventioneller Lösungen in Betracht gezogen. Dazu gehörte die Lagerung des Atommülls auf antarktischen Eisplatten, in der Erwartung, er würde im Laufe der Zeit durch seine eigene Wärme bis auf den Boden absinken. Oder die Lagerung des Mülls unter sich verschiebenden tektonischen Platten der Erdkruste, in der Hoffnung, der Müll würde in den Erdkern gezogen werden, wenn sich eine Platte unter eine andere schiebt.

    Ein Atomfriedhof

    Heute herrscht Einigkeit darüber, dass tiefes Vergraben auf lange Sicht die sicherste Lösung ist. Die technischen Schwierigkeiten bei dieser Option sind ebenso erheblich wie die politischen Widerstände. 1987 wählte der US-Kongress Yucca Mountain in Nevada als Standort für das weltweit erste geologische Tiefenlager für Atommüll. Die Entscheidung stiess sofort auf den erbitterten Widerstand von Gemeinden, Umweltaktivisten und Politikern des Bundesstaates. 23 Jahre später, nachdem bereits 15 Milliarden US-Dollar investiert worden waren, wurde das Projekt schliesslich auf Eis gelegt.

    Heute herrscht Einigkeit darüber, dass tiefes Vergraben auf lange Sicht die sicherste Lösung ist

    Ähnlich waren die Reaktionen auf die Pläne, in dem kleinen französischen Dorf Bure ein Tiefenlager für den gesamten französischen Atommüll zu schaffen. Ausgerechnet das kleine Bure entwickelte sich zu einem Hotspot des Anti-Atom-Protests. Der Bürgermeister Gerard Antoine sagt, er bereue seine Entscheidung, vor zwei Jahrzehnten die Einrichtung eines Atomversuchszentrums genehmigt zu haben. Trotz des starken Widerstands hält die französische Regierung an dem Projekt fest.

    Lies auch: Grüner Wasserstoff: der Schlüssel zur Dekarbonisierung der Schwerindustrie

    2023 wird dort das weltweit erste geologische Tiefenlager für hochradioaktiven Atommüll entstehen

    Das finnische Projekt «Onkalo» stiess da auf mehr Gegenliebe. 2023 wird dort das weltweit erste geologische Tiefenlager für hochradioaktiven Atommüll entstehen. Die Abfälle werden dabei einen halben Kilometer tief in Gesteinsschichten vergraben, die seit Millionen von Jahren stabil sind. Die Bewohner der Insel Olkiluoto, auf der sich das Endlager befindet, sind begeistert, verspricht das Projekt doch Arbeitsplätze und langfristige Steuereinnahmen für die Gemeinde.

    1976 stellte die britische Royal Commission on Environmental Pollution fest: «Es wäre moralisch falsch, künftigen Generationen die Folgen der [Atom-]Energie aufzubürden, solange nicht nachgewiesen ist, dass es zumindest eine Methode gibt, um diese Abfälle auf unbestimmte Zeit sicher isoliert zu lagern.» In den nächsten zehn Jahren werden alle Augen auf Finnland gerichtet sein, um zu sehen, ob dort die Antwort gefunden wurde.


     

    Japan Returns to Nuclear Power Over Energy Crisis (foreignpolicy.com)
    Plans for New Nuclear Reactors Worldwide - World Nuclear Association (world-nuclear.org)
    Orano la Hague; France's Efficiency in the Nuclear Fuel Cycle: What Can 'Oui' Learn? | IAEA
    Nuclear waste disposal in space (stanford.edu)

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG oder einer Geschäftseinheit der Gruppe (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig wäre, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende Abgabe rechtswidrig wäre.

    Entdecken Sie mehr.

    Sprechen wir.
    teilen.
    Newsletter.