Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld verändert sich und entwickelt sich rasch weiter. Anlegerinnen und Anleger sind daher in zahlreichen Sektoren mit transformativen Kräften konfrontiert. In diesem Artikel aus unserer Reihe „Grafiken, die Anlegerinnen und Anleger sehen sollten“ heben wir drei bedeutende Themen mit Auswirkungen auf die globalen Volkswirtschaften hervor. Das erste Thema ist der starke Anstieg der Investitionen in künstliche Intelligenz (KI). Das zweite Thema ist das von der Trump-Regierung betriebene Comeback der Zölle, das Jahrzehnte des freien Handels einstweilen beenden könnte. Bei dem dritten Thema geht es um die zunehmenden Auswirkungen klimabezogener Katastrophen in aller Welt auf die Wirtschaft. Diese Faktoren, die jeweils weitreichende Folgen haben, verlangen von Anlegerinnen und Anlegern, sich auf ein Wirtschaftsumfeld von nie da gewesener Komplexität einzustellen.
1. Der starke Anstieg der weltweiten Investitionen in künstliche Intelligenz
Entwicklung der Investitionen in künstliche Intelligenz in den USA, Europa und China1 (2016-2030)
Historische Daten basieren auf konsolidierten Schätzungen zu den öffentlichen und privaten Investitionen. Die Zukunftsprognosen berücksichtigen aktuelle Ankündigungen und widerspiegeln einen erwarteten Trend. Anpassungen auf der Grundlage von wirtschaftspolitischen Massnahmen, Gesetzen und der Marktdynamik sind aber jederzeit möglich.
Künstliche Intelligenz (KI) verändert Wirtschaftszweige in aller Welt von Grund auf, und die Investitionen in die KI-Infrastruktur und die KI-Entwicklung sind höher denn je. Sowohl Regierungen als auch Unternehmen investieren enorme Summen in diese transformative Technologie; das unterstreicht ihre strategische Bedeutung und ihr langfristiges Wachstumspotenzial.
KI ist nicht einfach nur ein Trend, sondern ein wesentlicher Motor für die wirtschaftliche Transformation. Im Kampf der Unternehmen und Länder um die Vorherrschaft bietet der KI-Sektor bedeutende Chancen
Die USA behalten ihre Vorreiterrolle, und OpenAI nimmt nicht nur eine Spitzenstellung ein, sondern erweitert auch deutlich die Funktionen und Möglichkeiten. Die Trump-Regierung kündigte kürzlich das Projekt „Stargate“ an, an dem sich auch die meisten der „Glorreichen Sieben“ – darunter Meta, Amazon, Microsoft und Alphabet – beteiligen werden. Es heizt das Rennen um die KI-Vorherrschaft an und sieht Gesamtinvestitionen von rund USD 500 Mrd. in die KI-Infrastruktur vor2. Ein Schwerpunkt ist die Erzielung von Fortschritten in den Bereichen maschinelles Lernen, Quantencomputer und cloudbasierte KI-Modelle. Diese hohen Investitionen werden voraussichtlich in mehreren Branchen, vom Gesundheitswesen bis hin zu Finanzdienstleistungen, zu massiven Produktivitätsgewinnen führen.
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Auf der anderen Seite des Atlantiks hat Europa das eigene Bekenntnis zur Entwicklung von KI-Infrastrukturen und -Dienstleistungen ebenfalls mit Nachdruck bekräftigt. Beim KI-Gipfel in Paris im Februar 2025 drückten Macron und Europa gegenüber den USA und China aufs Tempo. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron teilte mit, sein Land werde EUR 109 Mrd. in KI-Initiativen investieren, um Startups, Forschungsinstitute und die Halbleiterproduktion zu fördern.
Ausserdem sagte die Europäische Kommission EUR 200 Mrd. für die Entwicklung von KI-Gigafabriken zu3. Damit will man Europa im globalen KI-Rennen stärken und die Abhängigkeit von aussereuropäischen Anbietern mindern, um Resilienz und technologische Souveränität zu gewährleisten. Diese Investitionen verdeutlichen die Zielsetzung der EU, in der KI-Entwicklung nicht nur zu den USA, sondern auch zu Chinas DeepSeek aufzuschliessen.
Auch China treibt die Entwicklung weiterhin aggressiv voran, wie die kürzlich erfolgte Premiere von DeepSeek zeigt. Mit diesem am Jahresanfang vorgestellten KI-Modell positioniert sich China als führender KI-Akteur. Davon profitieren zahlreiche Sektoren im Land der aufgehenden Sonne. Denn Peking sieht die Prioritäten für die Technologie in den Bereichen nationale Sicherheit, Wirtschaftswachstum und globaler technologischer Einfluss. Für Anlegerinnen und Anleger ist die Botschaft eindeutig: KI ist nicht einfach nur ein Trend, sondern ein wesentlicher Motor für die wirtschaftliche Transformation. Im Kampf der Unternehmen und Länder um die Vorherrschaft bietet der KI-Sektor bedeutende Chancen.
2. Entwicklung der effektiven Zollsätze: eine harte Zäsur in der weltweiten Handelspolitik
Effektive Zollsätze zwischen den USA, dem Vereinigten Königreich und Frankreich 1900–20244
Im vergangenen Jahrhundert profitierten die westlichen Volkswirtschaften zumeist von dem im Grossen und Ganzen freien Handel. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind die Zölle deutlich gesunken (siehe Abbildung 2 oben). Doch dieser langjährige Trend dreht allmählich, denn der Protektionismus, insbesondere in den USA, ist wieder erwacht.
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Eine historische Betrachtung zeigt, dass Zölle im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine zentrale Rolle in der Wirtschaftspolitik spielten. Während der Industrialisierung der USA im späten 18. Jahrhundert stiegen die Zölle auf Einfuhren aus Europa von 10% auf über 50%. Sie dienten dazu, die einheimische Industrie zu schützen. Diese protektionistischen Massnahmen beherrschten bis ins frühe 20. Jahrhundert das Bild. Doch dann vollzog die US-Regierung unter Präsident Woodrow Wilson mit dem Underwood Act von 1913 eine Wende hin zum freien Handel.
Ab den 1950er-Jahren verzichteten die grossen westlichen Volkswirtschaften – darunter die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich – weitgehend auf hohe Zölle. Stattdessen schlossen sie multinationale Abkommen wie das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und gründeten später die Welthandelsorganisation (WTO). Doch seit ein paar Jahren ist dieser Konsens in Gefahr.
Höhere Zölle könnten, wenn sie verbreitet und dauerhaft gelten, nicht nur die globalen Lieferketten, sondern auch das Wachstumspotenzial zahlreicher Volkswirtschaften beeinträchtigen
Für den bedeutendsten Wendepunkt sorgte die Zollpolitik von Präsident Trump im Jahr 2018. Seine Massnahmen hatten einen Anstieg der effektiven Zollsätze um – relativ moderate – 2% zur Folge. Doch die Entwicklungen in jüngerer Vergangenheit deuten auf eine deutlichere Abkehr vom freien Handel hin. Die Regierung Biden behielt die Zölle insbesondere auf Einfuhren aus China bei und erhöhte sie in einigen Fällen. Als Grund führte sie nationale Sicherheitsbedenken an. Ausserdem erwägt die Europäische Union aktuell, als Reaktion auf die Störungen der weltweiten Lieferketten und die geopolitische Fragmentierung selbst auch tarifäre Massnahmen zu ergreifen. Dieses Comeback der Zölle könnte tiefgreifende wirtschaftliche Folgen haben. Höhere Zölle lassen in der Regel die Produktionskosten und die Verbraucherpreise steigen und führen zu Ineffizienzen in den Lieferketten. In einer globalisierten Welt mit tief verwurzelten gegenseitigen Abhängigkeiten könnte eine deutliche Rückkehr zum Protektionismus das Wirtschaftswachstum bremsen und den Inflationsdruck verschärfen.
Wie die Geschichte zeigt, besteht die Gefahr, dass langwierige Zollkriege eine Rezession auslösen könnten. Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, warnte kürzlich vor überzogenen protektionistischen Massnahmen. Sie führte den Wirtschaftsabschwung während der Handelskriege in den 1930er-Jahren als mahnendes Beispiel an.
Höhere Zölle könnten, wenn sie verbreitet und dauerhaft gelten, nicht nur die globalen Lieferketten, sondern auch das Wachstumspotenzial zahlreicher Volkswirtschaften beeinträchtigen. Für Anlegerinnen und Anleger ist es überaus wichtig, die Auswirkungen dieser politischen Veränderungen zu verstehen. Die Rückkehr dauerhafter Zölle könnte das weltweite Handelsgefüge von Grund auf verändern, die Unternehmensgewinne belasten und die Entwicklung ganzer Sektoren beeinflussen. Dies gilt insbesondere für das verarbeitende Gewerbe, den Technologiesektor und die Konsumgüterindustrie.
3. Klimakatastrophen und ihre Kosten für die Wirtschaft
Wetterbedingte Versicherungsschäden (1995-2025)5
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels sind keine entfernte Bedrohung mehr, sondern eine unmittelbare Realität. Wie die Abbildung oben zeigt, belaufen sich die Versicherungsschäden durch klimabedingte Katastrophen in den letzten fünf Jahren auf mehr als USD 100 Mrd. jährlich. Dies zeigt, dass extreme Wetterereignisse eine wachsende finanzielle Belastung für Unternehmen, Staaten und Privatpersonen darstellen.
Das jüngste und offensichtlichste Beispiel sind die Waldbrände in Kalifornien Anfang 2025, die die Evakuierung von mehr als 180’000 Menschen notwendig machten. Der wirtschaftliche Gesamtschaden wird Prognosen zufolge bei USD 150 Mrd. liegen, wovon schätzungsweise gerade einmal USD 20 Mrd. versichert sind. Die Verwüstungen gingen weit über die Zerstörung von Wohnimmobilien hinaus. Sie beeinträchtigten auch massiv die Agrarproduktion und die Energieversorgung; von den massiven Folgen für die lokale Wirtschaft ganz zu schweigen. Und das Waldbrandrisiko steigt weltweit.
Investitionen in naturbasierte Lösungen und klimaresistente Infrastrukturen eine wichtige Rolle spielen. Denn sie mildern zukünftige wirtschaftliche Schäden und unterstützen darüber hinaus die langfristige Wertschöpfung
Die Zahl der extremen Waldbrände soll Prognosen zufolge bis 2030 um 14%, bis 2050 um 30% und bis 2100 um 50% steigen. Dies unterstreicht, dass die Umsetzung von Strategien für Waldbrandschutz und Landschaftspflege dringend erforderlich ist. Die traditionellen Massnahmen zur Waldbrandbekämpfung sind an ihre Grenzen gestossen. Nun ist ein Übergang zu Lösungen zur Prävention und Anpassung geboten. Ein vielversprechender Ansatz ist die Bio-Kreislaufwirtschaft, die auf nachhaltige Praktiken der Landnutzung setzt, um Landschaften gegen Brände resilient zu machen.
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Durch Wiederherstellung der Bodengesundheit, Förderung der Biodiversität und Investitionen in naturbasierte Wertschöpfungsketten kann die Bio-Kreislaufwirtschaft das Waldbrandrisiko mindern und zugleich das Wirtschaftswachstum fördern. Ausserdem sollten die klimaorientierte Forstwirtschaft, die regenerative Landwirtschaft und eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung in der Wirtschaftsplanung Berücksichtigung finden. Denn sie können die Widerstandsfähigkeit gegen extreme Wetterereignisse erhöhen und zugleich neue Wertschöpfungsketten schaffen. Wenn naturbasierte Lösungen Ansätze ersetzen, die auf den Rohstoffabbau setzen, können Volkswirtschaften Klimarisiken mindern. Gleichzeitig entstehen dadurch aber auch neue Chancen in den Bereichen Bauwesen, Textilien und Biokunststoffe, die ein nachhaltiges Wachstum unterstützen.
Anlegerinnen und Anleger sollten den Klimawandel nun als eine Quelle für finanzielle Risiken betrachten. Wenn sich die Politik und die Marktkräfte auf Nachhaltigkeit ausrichten, werden Investitionen in naturbasierte Lösungen und klimaresistente Infrastrukturen eine wichtige Rolle spielen. Denn sie mildern zukünftige wirtschaftliche Schäden und unterstützen darüber hinaus die langfristige Wertschöpfung.
Ein komplexes Umfeld für Anlegerinnen und Anleger
KI treibt weiterhin technologische Revolutionen an, die globale Handelspolitik tendiert zu mehr Protektionismus, und klimabezogene Kosten verändern die Risikomodelle. Der sichere Umgang mit diesem sich wandelnden Umfeld verlangt von Anlegerinnen und Anlegern Wachsamkeit, strategische Diversifikation und eine fundierte Sicht auf makroökonomische Trends.
Wir bei Lombard Odier sehen unsere Aufgabe darin, unsere Kundinnen und Kunden durch ein zunehmend komplexes und volatiles wirtschaftliches Umfeld zu leiten. Seit mehr als 225 Jahren passen wir uns kontinuierlich an Veränderungen an und beurteilen die Welt um uns herum ständig neu. Wir treten einen Schritt zurück, um die Lage in Ruhe zu bewerten und unser Vorgehen unbeeindruckt vom Lärm zu überdenken. Auf diese Weise wollen wir unseren Kundinnen und Kunden neuartige Anlageperspektiven bieten.
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