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    "Die Finanzwelt kann den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft beschleunigen" – ein Interview mit Patrick Odier, unserem Senior Managing Partner

    "Die Finanzwelt kann den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft beschleunigen" – ein Interview mit Patrick Odier, unserem Senior Managing Partner

    Interview veröffentlicht in Le Matin Dimanche, 18. September 2022

     

    Die nachhaltige Finanzwirtschaft steht aktuell unter Beschuss, unter anderem vom Wochenmagazin The Economist, das die Kriterien als unklar, manipulativ und sogar als „Greenwashing“ bezeichnet. Sollte man alles sofort beenden?

    Nein. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es heute eine Reihe von Kritikpunkten bei der Umsetzung einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Finanztätigkeit gibt. Warum ist das so? Weil die Problematik der Nachhaltigkeit an sich komplex und schwierig zu verstehen ist, auch für die Finanzbranche. Wir dürfen das wirtschaftliche Wachstum, das wir heute erleben, mit seinen erheblichen Kollateralschäden nicht länger ignorieren und müssen es so umlenken, dass seine Fortsetzung nicht mehr schädlich ist – für das Klima, die Natur und unser Überleben.

     

    Trotzdem werden die Finanzwelt und private Unternehmen bezichtigt, ein nicht nachhaltiges Wachstum zu verfolgen.

    Das ist genau das Problem dieser Debatte: Worüber sprechen wir? Von der Gegenwart, die unbefriedigend ist? Oder von der Zukunft? Entscheidend ist, diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die Lösungen anbieten. Aber auch diejenigen, deren Geschäftsmodell sich radikal ändern muss, um einen Wandel zu vollziehen, der mit den Zielen dem Pariser Abkommen und der Vereinten Nationen vereinbar ist. Bei dieser Auswahl entstehen Schwierigkeiten und Kritik. Die Aufgabe ist gewaltig. Kurz gesagt, die Debatte, die durchaus notwendig ist, bezieht sich in erster Linie auf die aktuelle, statische Situation. Und auf die Tatsache, dass sich zu wenige Unternehmen dazu entschlossen haben, ihr Geschäftsmodell zu ändern.

     

    Können Sie Beispiele nennen?

    Das ursprünglich in der Ölindustrie tätige dänische Unternehmen Ørsted hat sich zu einem führenden Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien entwickelt. Grundsätzlich ist es wichtig zu unterscheiden, ob ein Unternehmen „nachhaltig“ ist oder nicht – und zu beurteilen, ob es gut aufgestellt ist, um vom ökologischen Wandel zu profitieren.

     

    Aber wie lässt sich erklären, dass ein bestimmtes Unternehmen von einer Bank gut bewertet wird, aber von einer anderen ein schlechtes Rating erhält? Ist das nicht ein Beweis dafür, dass das derzeitige System Tür und Tor für Manipulationen öffnet?

    Sie beziehen sich auf die bekannten ESG-Ratings (Anmerkung der Redaktion: Indikatoren für Umwelt, Soziales und Governance). Einige Unternehmen sind vielleicht führend in Bezug auf die Unternehmensführung, aber schlecht auf einen radikalen ökologischen Wandel vorbereitet. Das sorgt für Verwirrung. Die heute verwendeten Ratings sind daher unzureichend. Deutlich wird dies am Beispiel des Aktienindex MSCI World ESG Leaders, der mehr als 1’500 Unternehmen umfasst. Weniger als 10% der Unternehmen, die in diesem Index enthalten sind, erfüllen die europäische Nachhaltigkeitstaxonomie.

    Grundsätzlich ist es wichtig zu unterscheiden, ob ein Unternehmen „nachhaltig“ ist oder nicht – und zu beurteilen, ob es gut aufgestellt ist, um vom ökologischen Wandel zu profitieren

    Ist dies also der Beweis dafür, dass zu viele Unternehmen als nachhaltig bezeichnet werden?

    Ja, in gewisser Weise schon. Das Spektrum ist zu breit. Aber solche Klassifizierungen sind zu einseitig. Was zählt, ist die Dynamik, die Qualität der Ziele und der Umstand, ob sie erreichbar sind. Deshalb bereitet sich die Schweiz darauf vor, den internationalen Standard der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) ab 2024 einzuführen. Dieser Standard gilt der Veröffentlichung von Daten über Treibhausgasemissionen durch grosse Unternehmen aller Wirtschaftszweige.

     

    Könnte die Finanzbranche nicht eine Vorreiterrolle im Bereich der Nachhaltigkeit einnehmen?

    Die Finanzwelt ist nicht allmächtig. Sie kann die Unternehmen in ihrer Übergangsphase begleiten, unterstützen und inspirieren, aber sie kann weder die industriellen Aktivitäten noch die Gesetzgebung der Staaten ersetzen. Wir sollten nicht die Finanzwelt damit beauftragen, zu bestimmen, was erlaubt oder verboten ist. Oder zu beurteilen, ob es sinnvoll ist, Schneekanonen in 2’000 Metern Höhe einzusetzen oder nicht. Diese Entscheidungen sollten die zuständigen Behörden treffen. Die Finanzwelt kann und sollte Unterstützung anbieten, aber es ist nicht ihre Aufgabe, die Verantwortung für gesellschaftliche Entscheidungen zu tragen.

     

    Aber die Kritik bleibt bestehen und wird immer lauter.

    Die Finanzwelt muss sich klarer darüber äussern, was sie zu tun gedenkt. Der Finanzsektor ist einer der Faktoren, die den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft beschleunigen können. Die Kriterien für die Selektion und die Lenkung von Kapital in Unternehmen mit einem nachhaltigen Engagement müssen wissenschaftlich und transparent sein. Es handelt sich dabei um ein komplexes Forschungsgebiet, das einen Dialog zwischen allen Beteiligten erfordert. Und genau das ist die Aufgabe von Building Bridges: Diese Plattform bringt das Fachwissen der Finanzwelt und des internationalen Genf zusammen – dem Ort, an dem die Standards von morgen entwickelt werden.

     

    Sind Investitionen in Unternehmen, die sich entschlossen für ein glaubwürdiges Nachhaltigkeitsziel einsetzen, rentabel?

    Wir von Lombard Odier sind überzeugt, dass Nachhaltigkeit und Rentabilität Hand in Hand gehen. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass wir Portfolios übernehmen, die in der Vergangenheit entstanden sind. Sie müssen sich weiterentwickeln. Portfolios mit Unternehmen, die keine Massnahmen ergreifen, stellen für die Aktien- und Anleihebesitzer ein ernsthaftes Risiko dar. Denn diese Unternehmen könnten auf den Märkten nicht mehr mithalten oder sogar in Konkurs gehen. Wir müssen sie prioritär behandeln. Ebenso müssen wir die Chancen von Unternehmen nutzen, die ihr Geschäftsmodell in Richtung Nachhaltigkeit umgestaltet haben.

     

    Nehmen wir einen konkreten Fall. Die europäische Taxonomie definiert Atomkraft und Gas als nachhaltige Energie. Sorgt dies nicht für Verwirrung, da keine Einigkeit bei diesem Thema besteht?

    Die von der Europäischen Union gewählte Taxonomie wirft in der Tat Probleme auf. Man kann sich fragen, wie nachhaltig Gas und die derzeitige Kernenergie sind. Bei der Kernenergie werden die Zukunft und die Forschung zeigen, ob die Industrie die Probleme lösen kann, die sie heute verursacht. Uns bleibt diesbezüglich nur die Hoffnung. Wir müssen jedoch feststellen, dass wir noch nicht so weit sind. Ein Verzicht auf diese Energie zum jetzigen Zeitpunkt bringt hingegen auch andere Probleme mit sich.

    Der Finanzsektor ist einer der Faktoren, die den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft beschleunigen können

    Haben Sie als Unternehmer Angst vor einem Strom-Blackout?

    Natürlich müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um eine Stromknappheit zu vermeiden. Für alle wäre sie katastrophal. Wir müssen weiterhin in unsere Kapazitäten im Bereich der Wasserkraft und in die Energieinfrastruktur im Allgemeinen investieren. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Liberalisierung des Strommarktes aufgeschoben wird. Vielleicht ist jetzt auch nicht der richtige Zeitpunkt, um einen neuen Bruch hervorzurufen. Allerdings beunruhigt mich das politische Signal, denn der Markt ist das beste Instrument zur Förderung von Innovationen. Zudem kann er sicherstellen, dass Investitionen in den richtigen Bereichen getätigt werden. Letztendlich wissen wir auch, dass die Stromversorgung der Schweiz von unserer Verbindung zum europäischen Markt abhängt; dies wird in wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema deutlich, einschliesslich der Berichte des Bundesrates. Aber – und das ist das Unglaubliche – gerade jetzt, wo die Schweiz ein Stromabkommen braucht, sind wir nicht in der Lage, es umzusetzen, obwohl es bereit und seit langem verhandelt ist! Unfassbar, dass wir uns im entscheidenden Moment – inmitten der Energiekrise – in einer festgefahrenen Situation befinden.

     

    Was ist passiert?

    Die Schweiz hat verschlafen. Es ist höchste Zeit, dass wir aufwachen. Diese Krise muss dazu führen, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen und die Investitionen in erneuerbare Energien beschleunigen. Wenn wir dies jetzt nicht tun, ist dies ein unverzeihlicher politischer Fehler, der die Zukunft dieses Landes gefährden könnte.

    Was muss getan werden?

    Die Hürden für Investitionen und die Entscheidungsfindung müssen abgebaut werden. In Zeiten wie diesen müssen wir den Mut haben, die Engpässe aufzulösen. Ich möchte betonen, dass dies nicht nur für den Energiebereich gilt. Ich denke dabei an die Bereiche Forschung und Ausbildung. Heute steht die Schweiz an der Spitze der Innovationsrangliste, und das ist gut so. Aber wenn wir nicht an den grossen Forschungsprogrammen der EU teilnehmen, können wir nicht erwarten, dass wir auf diesem hohen Niveau bleiben. Wachen wir auf und nutzen wir die aktuellen Probleme – aber nicht um den einen oder anderen Sektor, die Finanzbranche oder ihre Vorgehensweise zu kritisieren oder zu verteufeln. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir am besten können – und dies auf eine noch nachhaltigere Weise.

    Ebenso müssen wir die Chancen von Unternehmen nutzen, die ihr Geschäftsmodell in Richtung Nachhaltigkeit umgestaltet haben

    Investieren Sie auch privat in erneuerbare Energien?

    Ja, natürlich. Aber ich unterscheide nicht zwischen meinen persönlichen Investitionen und denen meiner Kundinnen und Kunden. Lombard Odier investiert nicht nur nachhaltig, weil wir das aus gesellschaftlicher Sicht für richtig halten. Wir tun dies, weil wir davon überzeugt sind, dass Investitionen, Risikomanagement und die Erzielung einer akzeptablen Rendite, die auch den Anforderungen der beruflichen Vorsorge entspricht, nachhaltig sind. Dies ist Teil unserer treuhänderischen Verantwortung gegenüber unseren Kundinnen und Kunden.

     

    Sollte man nicht ein negatives Wachstum anstreben?

    Nein, wir müssen über ein anderes Wachstum sprechen, ein Wachstum, das von seinen negativen Folgen losgelöst ist und stattdessen die Natur wiederherstellt und das Klima schützt. Wir wissen heute beispielsweise, dass wir ein Fünftel der von der Industrie oder der Landwirtschaft beanspruchten Flächen der Natur zurückgeben müssen; nur dann verhindern wir einen Zusammenbruch der Biodiversität – die für die Ernährung so wichtig ist. Wenn wir, das heisst die Gesellschaft, uns dazu entschliessen, dies zu einer echten Priorität zu machen, lösen wir eine Welle von Innovationen und Investitionen aus. Diese Welle ist mit derjenigen vergleichbar, die wir derzeit im Kampf für den Klimaschutz erleben.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG oder einer Geschäftseinheit der Gruppe (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig wäre, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende Abgabe rechtswidrig wäre.

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