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    KI im Finanzdienstleistungssektor: Die neue Dotcom-Blase?

    KI im Finanzdienstleistungssektor: Die neue Dotcom-Blase?

    Künstliche Intelligenz (KI) ist allgegenwärtig. Die digitalen Sprachassistenten Amazon Alexa und Apple Siri setzen zum Beispiel auf KI, um Anweisungen zu erlernen und zu interpretieren. Dank KI lassen sich Smartphones per Gesichtserkennung entsperren. Ausserdem unterstützt KI die Organisation von Postings in sozialen Medien und von Videostreams.

    Andere Anwendungen von KI sind weniger offensichtlich, aber vielleicht noch wichtiger für den Alltag. Ein Beispiel ist die Betrugserkennung bei allen elektronischen Transaktionen auf den grossen Zahlungsplattformen. Und auch bei der Ermittlung der Bonität von Verbrauchern und der Analyse von Versicherungsfällen kommt KI zum Einsatz. Häufig bemerken wir gar nicht, dass wir es mit KI-Anwendungen zu tun haben. Wie John McCarthy, einer der Mitbegründer der künstlichen Intelligenz, sagte: „Sobald es funktioniert, nennt es niemand mehr künstliche Intelligenz.“

    Doch aufgrund der rasanten Verbreitung generativer KI-Tools – wie Chat GPT zur Textgenerierung und Dall-E zur Bilderstellung – ist die KI wieder ins Rampenlicht gerückt. Viele Beobachter rechnen mit tiefgreifenden wirtschaftlichen Veränderungen in zahlreichen Branchen. Was bedeutet das für den Finanzdienstleistungssektor?

    Generative KI unterscheidet sich von traditioneller KI dadurch, dass sie kreativ sein darf. Bei der Textgenerierung neigt die generative KI zum „Halluzinieren“

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    Halluzinationen?

    Generative KI unterscheidet sich von traditioneller KI dadurch, dass sie kreativ sein darf. Bei der Textgenerierung neigt die generative KI zum „Halluzinieren“, das heisst, sie produziert mitunter sachlich falsche oder sogar unsinnige Texte. Microsoft Bing führte vor Kurzem eine Suchoberfläche mit KI-gestütztem Chat ein – mit folgendem Haftungsausschluss: „KI kann Fehler machen … Bing interpretiert die gefundenen Informationen manchmal falsch und gibt Antworten, die sich zwar überzeugend anhören, aber unvollständig, fehlerhaft oder unpassend sind.“ Diese Neigung – die allen generativen KI-Modellen gemein ist – schränkt die Nutzbarkeit von KI in Bereichen, in denen es auf Richtigkeit und Präzision ankommt, drastisch ein. Einer davon ist der Finanzdienstleistungssektor.

    In der stark regulierten Finanzdienstleistungsbranche werden KI-Modelle, die Kunden falsch beraten oder gar gesetzwidrige Ratschläge geben könnten, schlicht keine Zulassung für die Praxis erhalten

    Besseres Kundenerlebnis

    In der stark regulierten Finanzdienstleistungsbranche werden KI-Modelle, die Kunden falsch beraten oder gar gesetzwidrige Ratschläge geben könnten, schlicht keine Zulassung für die Praxis erhalten. Eine zunehmend wichtige Rolle wird die generative KI jedoch im Kundenservice spielen. Dort wird sie die Interaktion mit Kundinnen und Kunden beschleunigen und stärker personalisieren. Mithilfe von KI werden die Nutzerinnen und Nutzer sogar ihre eigenen, massgeschneiderten Anlage-Dashboards zusammenstellen und anhand kurzer Sprachanweisungen interaktive Berichte erstellen können.

     

    Betrugserkennung

    KI ist in der Finanzdienstleistungsbranche seit Langem ein wichtiges Hilfsmittel bei der Betrugserkennung. Die KI-gestützte Betrugserkennung bei Visa achtet beispielsweise auf ungewöhnliche Ausgabenmuster, wobei bis zu 65’000 Transaktionen pro Sekunde kontrolliert werden können. Sie erkennt verdächtige Vorgänge innerhalb von 300 Millisekunden nach einer Transaktion. Diese Technologie ist kostspielig – im Jahr 2020 gaben Unternehmen mehr als USD 217 Mrd. für KI zur Betrugserkennung und Risikobewertung aus.

    KI-Modelle können zunehmend auch Aktivitätsmuster erkennen, die auf Geldwäscherei hindeuten

    KI-Modelle können zunehmend auch Aktivitätsmuster erkennen, die auf Geldwäscherei hindeuten. In der Zukunft werden KI-Modelle betrügerische Aktivitäten bereits im Vorfeld verhindern, indem sie Schwachstellen in den Interaktionen zwischen Regulierern, Instituten und Investoren aufspüren.

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    Vorsprung durch Big Data

    Um Ausgabenmuster und Anomalien zu erkennen, benötigt man enorme Datenmengen. Je umfangreicher der Datenbestand ist, desto besser lässt sich ein KI-Modell „trainieren“, und desto zuverlässiger wird die Betrugserkennung sein. Davon profitieren etablierte Institute, die Zugriff auf die grössten Datenbestände haben und ausreichend investieren können, um Milliarden von Daten zu sammeln und organisiert zu speichern. Um beim Beispiel Visa zu bleiben: Ende 2021 verfügte das Unternehmen über 60 Petabyte an Daten. Das entspricht dem Speicherplatz für 60 Mio. Filme in Standardauflösung. Den grössten Zahlungsnetzwerken der Welt, die bereits Zugang zu Zahlungsinformationen aus Jahrzehnten haben, verschafft dies einen beachtlichen Wettbewerbsvorsprung.

    Wenn die Datenbestände wachsen und die KI noch differenzierter wird, wird sich auch die Treffsicherheit solcher Angebote weiter verbessern

    Bedarfsgerechte Dienstleistungen

    Diese Datenbestände haben für etablierte Institutionen einen weiteren Vorteil. Sie können sich ein umfassendes Bild von den Gewohnheiten, den Vorlieben und der Lebensweise der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer machen. Sie wissen, wann und wohin Kundinnen und Kunden gerne reisen, welchen Streamingdienst sie abonnieren oder wem sie regelmässig Geld überweisen. Wenn Unternehmen diese Informationen mittels KI analysieren, können sie den Kunden bedarfsgerechte Finanzdienstleistungen anbieten. Beispiele sind ein persönliches Versicherungsangebot nach einem Autokauf oder Finanzplanungstipps und Anlageideen für Sparer. Wenn die Datenbestände wachsen und die KI noch differenzierter wird, wird sich auch die Treffsicherheit solcher Angebote weiter verbessern.

    Enormer Energiebedarf

    Laut Ian Bratt, Leiter des Bereichs Machine Learning Technology beim britischen Halbleiter- und Software-Entwickler Arm, steigt der Energiebedarf für das Training neuer KI-Modelle exponentiell: „Vor zwei Jahren lag der Energiebedarf für das Training eines Modells bei rund 27 Kilowattstunden … heute dagegen sind es mehr als eine halbe Million Kilowattstunden“ – also ein Anstieg um mehr als das 18’000-Fache.

    Dies dürfte kurzfristig kein limitierender Faktor sein, doch es ist absehbar, dass der KI-Fortschritt ins Stocken geraten wird. Denn die für KI und die Speicherung immer gewaltigerer Datenmengen benötigte Energie nähert sich der Kapazitätsgrenze für die Stromerzeugung. Energieeffizienz dürfte mit dem zunehmenden Einsatz von KI durch Unternehmen immer wichtiger werden.

    Die Fortschritte im KI-Bereich machen es für Mitarbeitende schwieriger, ihren Zugang zu Kundendaten auf betrügerische Weise zu ihrem Vorteil zu nutzen

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    Erkennung interner Betrugsfälle

    Einige der grössten Finanzinstitute nutzen die Betrugserkennung mittels KI auch firmenintern. Die Modelle zur Erkennung von Mustern und Anomalien im Kundenverhalten dienen auch zur Überwachung der Mitarbeitenden. Sie verfolgen Online- und sogar körperliche Aktivitäten bei der Arbeit und erkennen Stress oder ungewöhnliche Sprachmuster bei Gesprächen an Firmentelefonen. Die Fortschritte im KI-Bereich machen es für Mitarbeitende schwieriger, ihren Zugang zu Kundendaten auf betrügerische Weise zu ihrem Vorteil zu nutzen.

     

    Schlechte Datengrundlage, schlechte Ergebnisse

    Die durch KI erzielten Ergebnisse können immer nur so gut sein wie die zugrunde liegenden Daten. Sind diese Daten unzuverlässig, können sich Finanzinstitute unerwarteten Risiken aussetzen. In den USA etwa basieren die Daten von Agenturen, die die Kreditwürdigkeit von Verbrauchern bewerten, überwiegend auf den Transaktionshistorien wohlhabender, weisser Personen. Die Folge sind niedrigere Bonitätseinstufungen für andere Bevölkerungsgruppen. Dies hat zu Kritik seitens der Politik geführt, und Hypothekeninstituten sind möglicherweise Chancen entgangen. Nach Schätzungen von IBM verursachen schlechte Eingangsdaten sektorübergreifend allein in den USA Kosten in Höhe von USD 1,3 Bio. Im schlimmsten Fall könnten KI-Entscheidungen auf Basis nicht repräsentativer oder minderwertiger Daten zu Geldstrafen und Reputationsschäden führen.

     

    Cybersicherheit

    KI stellt eine wachsende Bedrohung für die Cybersicherheit von Unternehmen aus allen Sektoren und insbesondere von Finanzunternehmen dar. Sie ist in der Lage, schnell Profile zu erstellen und grosse Datenmengen zu sammeln, unter anderem durch Sprach- und Bildgenerierung. Dies erleichtert Hacker-Angriffe durch sogenanntes „Phishing“, bei denen Betrüger Verbraucher dazu bringen, persönliche Informationen preiszugeben, um damit Sicherheitsschranken zu überwinden. Es werden immer wieder neue KI-unterstützte Hacker-Techniken entwickelt. Deshalb müssen Finanzinstitute sowohl in die defensive Cybersicherheit investieren als auch Notfallpläne für den Fall erstellen, dass ihre Daten oder KI-Modelle zum Ziel von Angriffen werden.

    Leider ergreifen branchenübergreifend 20% der börsennotierten Unternehmen nicht einmal grundlegende Massnahmen zum Cyberschutz. Das bedeutet, dass bei ihnen sogenannte bekannte ausgenutzte Sicherheitslücken bestehen. Da KI-Angriffe immer raffinierter werden, können Hacker diese Schwachstellen künftig schneller ausnutzen. Laut einer Analyse der Beratungsgesellschaft McKinsey könnte diese rasant wachsende Bedrohung zu einer Cybersicherheitsindustrie mit einem Volumen von USD 2 Bio. führen[1].

    Der gesamte KI-Markt einschliesslich Dienstleistungen und Hardware wird Erwartungen zufolge bis 2026 einen Wert von USD 900 Mrd. erreichen

    Ein Winter mit Unzufriedenheit?

    Der gesamte KI-Markt einschliesslich Dienstleistungen und Hardware wird Erwartungen zufolge bis 2026 einen Wert von USD 900 Mrd. erreichen. Dies entspricht einem jährlichen Wachstum (CAGR) von 19%. Trotz dieses beeindruckenden Zuwachses könnten Anlegerinnen und Anleger mit einem zu kurzen Anlagehorizont enttäuscht werden.

    Der KI-Hype ist kein neues Phänomen. Seit den Anfängen der künstlichen Intelligenz im Jahr 1950 gab es mehrere Zyklen mit hohen Erwartungen, auf die sogenannte KI-Winter folgten. In diesen Phasen stockten die Fortschritte, und erwartete Durchbrüche blieben aus. Die aktuelle Begeisterung für die generative KI hat die Unternehmensbewertungen auf ähnliche Höhen wie zu Zeiten der Dotcom-Blase steigen lassen. Daher könnte es wieder zu einem KI-Winter kommen, in dem die Ergebnisse angesichts der überhöhten Erwartungen enttäuschen dürften.

    Auf lange Sicht ist die KI-Revolution jedoch sehr real. Für Anlegerinnen und Anleger ist es wichtig, über den Marketing-Hype hinauszublicken und zu analysieren, wie sich die KI tatsächlich auf die Fundamentaldaten von Unternehmen auswirkt. Dabei sollten sie ihr Augenmerk auf die Unternehmen richten, die sich sowohl auf die Risiken als auch auf die Chancen einstellen, die sich durch KI ergeben. Dass die KI die Finanzdienstleistungsbranche von heute auf morgen auf den Kopf stellen wird, ist unwahrscheinlich. Zu den Gewinnern werden vor allem die Unternehmen zählen, die für laufende Innovationen in den Bereichen Effizienz, Sicherheit und Kundenservice in KI investieren.


     

    1 New survey reveals $2 trillion market opportunity for cybersecurity technology and service providers | McKinsey

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