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    Grossbritannien erhöht Ausgaben, um einer Konjunkturabschwächung entgegenzuwirken

    Grossbritannien erhöht Ausgaben, um einer Konjunkturabschwächung entgegenzuwirken
    Stéphane Monier - Chief Investment Officer<br/> Lombard Odier Private Bank

    Stéphane Monier

    Chief Investment Officer
    Lombard Odier Private Bank

    Kernpunkte

    • Die Bank of England warnt vor einer möglichen Rezession im Vereinigten Königreich, wobei der Höhepunkt der Inflation noch nicht erreicht ist. Der Leitzins der Bank of England könnte vor Ende 2022 mehr als 2% erreichen
    • Die Regierung hat ein Paket im Umfang von GBP 15 Mrd. zur Unterstützung der Haushalte angekündigt. Dieses sollte die Risiken für die britische Wirtschaft verringern
    • Die politische Zukunft von Premierminister Johnson ist in Gefahr, nachdem er eine Vertrauensabstimmung nur knapp gewonnen hat
    • Wir halten an einer neutralen Aktienposition fest. Dabei bevorzugen wir Substanz- und Qualitätstitel in Sektoren und Regionen, einschliesslich des Vereinigten Königreichs, in denen die Unternehmen höhere Kosten leichter weitergeben oder ein geringeres Wachstum verkraften können.

    Zum 70. Thronjubiläum von Königin Elizabeth II. hat die britische Regierung ein Haushaltspaket angekündigt. Ziel ist, die britische Wirtschaft vor dem Abrutschen in eine Rezession zu bewahren. Das Paket könnte es der Bank of England (BoE) erlauben, die Zinsen weiter anzuheben, um die höchste Inflation seit vier Jahrzehnten einzudämmen. Zugleich kämpft Premierminister Boris Johnson, der gerade eine Vertrauensabstimmung gewonnen hat, immer noch um die Kontrolle über seine Partei und sein politisches Überleben.

    Wie die europäischen Nachbarn erlebt auch die britische Wirtschaft einen Angebotsschock. Dieser wird durch höhere Energiepreise angetrieben und schlägt sich in einem Kaufkraftverlust der Verbraucher und einer „Lebenshaltungskostenkrise“ nieder. Der Preisanstieg untergräbt das Wirtschaftswachstum. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Vereinigten Königreichs wächst weniger als vor der Pandemie, und die Aussichten verschlechtern sich.

    Die BoE warnt vor einer möglichen Rezession in der zweiten Hälfte des Jahres 2022. Wir gehen davon aus, dass das Land 2022 ein BIP-Wachstum von nicht mehr als 3,5% verzeichnen wird. Dieser Durchschnittswert täuscht darüber hinweg, dass das Wachstum für das Gesamtjahr fast ausschliesslich der aussergewöhnlichen Erholung von 7% im Jahr 2021 zu verdanken ist; diese hat bis in die ersten drei Monate des Jahres 2022 hinein fortgedauert. In der zweiten Jahreshälfte 2022 wird das Wachstum stagnieren. Für 2023 erwarten wir, dass die Wirtschaft um weniger als 1,5% wachsen wird.

    Die britische Regierung wollte nach der Covid-Pandemie mit der Haushaltskonsolidierung beginnen. Das Haushaltsdefizit des Landes stieg während der Pandemie auf einen Rekordwert in Friedenszeiten von GBP 318 Mrd. im Jahr 2020/2021. Dies entspricht 14,8% des BIP oder GBP 4’800 pro Einwohner des Vereinigten Königreichs. Die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP liegt bei über 94% und damit auf dem höchsten Stand seit 1962/1963.

     

    Lebenshaltungskosten, Preis des Überlebens

    Im April verzeichnete das Vereinigte Königreich einen Anstieg der Verbraucherpreise um 9% im Vergleich zum Vorjahr und damit die höchste Inflationsrate seit vier Jahrzehnten. Die Inflation hat jedoch noch nicht den Höhepunkt erreicht. Die Auswirkungen der gestiegenen Gaspreise haben sich noch nicht vollständig in den britischen Haushalten niedergeschlagen. Die nationale Energieregulierungsbehörde aktualisiert ihre Preisobergrenze nur zweimal im Jahr und prognostiziert für Oktober 2022 einen weiteren Anstieg um 42%. Damit würden sich die durchschnittlichen Energierechnungen im Vergleich zu 2021 auf GBP 2’800 pro Haushalt verdoppeln. Das ist eine schlechte Nachricht für die Verbraucher. Sie bedeutet, dass die Inflationsrate im Vereinigten Königreich einen Höchststand von über 10% erreichen wird (siehe Grafik 1), und zwar viel später als in den USA und der Eurozone.

    … hat die BoE die Zinsen so schnell erhöht wie keine andere westliche Zentralbank

    Als Reaktion auf die Inflation hat die BoE die Zinsen so schnell erhöht wie keine andere westliche Zentralbank. Nach vier Anhebungen seit Dezember 2021 erwarten wir zwei weitere um jeweils 25 Basispunkte im Juni und August. Wie im übrigen Europa und in den USA ist auch im Vereinigten Königreich die Lage auf dem Arbeitsmarkt angespannt, was zu einem weiteren Anstieg der Löhne führen könnte. Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote lag im März bei 3,7% und damit auf dem tiefsten Stand seit 1973. Wenn die Löhne nicht weiter steigen, werden höhere Zinsen und sinkende Realeinkommen das Wirtschaftswachstum untergraben und damit letztlich die Inflation bremsen (siehe Grafik 2).

    Wo es Anstiege zu verzeichnen gibt

    Angesichts der hohen Inflation und ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Öffentlichkeit ist die Regierung von der geplanten Ausgabenkürzung abgerückt. Am 26. Mai kündigte Schatzkanzler Rishi Sunak ein Paket im Umfang von GBP 15 Mrd. an, das den Haushalten helfen soll, den Preisanstieg zu bewältigen. Die Mittel sind zu zwei Dritteln einkommensabhängig und sollen so den Menschen zukommen, die sie am nötigsten brauchen.

    Um ein Drittel des Haushaltspakets zu finanzieren, führte der Schatzkanzler gleichzeitig eine „Windfall Tax“ oder Sondergewinnsteuer von 25% auf die jüngsten Gewinne des Öl- und Gassektors ein – eine von der oppositionellen Labour-Partei übernommene Politik. Diese Steuer, die zusätzlich zu dem derzeitigen Unternehmenssteuersatz von 40% erhoben wird, soll auslaufen, sobald die Energiepreise wieder sinken, spätestens jedoch Ende 2025. Die anderen zwei Drittel des Pakets werden durch neue Schulden finanziert.

    Damit ist ein Leitzins von mehr als 2% vor Ende Jahr möglich

    Die sich verschlechternden Wachstumsaussichten und die steigende Inflation stellen eine Herausforderung für die Geldpolitik der BoE dar. Im Bemühen, den Preisanstieg einzudämmen, dürfte die BoE nach wie vor das Risiko einer Rezession eingehen, indem sie die Zinsen weiter anhebt. Die fiskalische Unterstützung der Wirtschaft durch die Regierung wird es der BoE zumindest erlauben, die Zinsen über die von uns ursprünglich erwarteten 1,5% hinaus zu erhöhen. Damit ist ein Leitzins von mehr als 2% vor Ende Jahr möglich.

    Eine Komplikation für die wirtschaftlichen Aussichten des Vereinigten Königreichs im Vergleich zum Rest der Welt ist die Ungewissheit rund um die Handelsvereinbarungen mit der Europäischen Union. Das Potenzial für einen Handelskonflikt besteht weiterhin, da die EU und das Vereinigte Königreich über die Anwendung von Kontrollen für Waren, die nach und aus Nordirland transportiert werden, streiten. Die Gefahr eines schädlichen Handelskriegs begleitet den Brexit-Prozess seit Jahren. Die Märkte haben dieses Risiko weitgehend in die Vermögenswerte eingepreist.

     

    Vertrauensabstimmung

    Das Überleben des britischen Premierministers, der das Land am 31. Januar 2020 formell aus der EU geführt hat, ist nun infrage gestellt. In ihren sieben Jahrzehnten auf dem Thron hat Königin Elisabeth mit 14 Premierministern zusammengearbeitet. Angesichts der Zweifel an Boris Johnsons Amtsführung ist es möglich, dass die Queen mit einem weiteren Premierminister zusammengearbeitet hat, bevor die britische Wirtschaft wieder das Wachstumsniveau von vor der Pandemie erreicht hat.

    Boris Johnson musste sich am 6. Juni einer Vertrauensabstimmung über seine Amtsführung stellen. Zwar gewann er die Abstimmung, doch scharten sich weniger konservative Abgeordnete als erwartet hinter ihm. Insgesamt stimmten 41% der eigenen Abgeordneten gegen ihren Premierminister. Dies ist ein höherer Anteil als bei der Abstimmung gegen die damalige Premierministerin Theresa May im Dezember 2018 und ein ähnlich hoher Anteil wie bei der Abstimmung gegen Margaret Thatcher im Jahr 1990. Beide traten schliesslich zurück. Boris Johnson hat geschworen, im Amt zu bleiben. Der Bericht einer Beamtin vom 25. Mai schien zunächst die monatelangen Debatten und polizeilichen Ermittlungen zu „Partygate“ zu beenden. Boris Johnsons Verhalten während der Covid-Lockdowns wurde besonders unter die Lupe genommen, einschliesslich der Geldstrafen für den Premierminister, seine Frau und Schatzkanzler Sunak aufgrund der Teilnahme an einer Party im Juni 2020. Die Regierung muss spätestens am 24. Januar 2025 Neuwahlen ausrufen, wobei der Mai 2024 als möglicher Termin im Gespräch ist.

     

    Sterling und Platin

    Was ist mit dem Pfund Sterling? Seit der Thronbesteigung der Queen im Jahr 1952 hat sich der Wert des Pfunds gegenüber dem US-Dollar halbiert. Zum Zeitpunkt des Platinjubiläums der Queen notiert das Pfund derzeit um 1.25 gegenüber dem Dollar, nachdem es 2022 einen Tiefststand von 1.216 erreicht hat. Diese Entwicklung ist auf den zuletzt schwächeren Dollar zurückzuführen, da die Nachfrage der Anleger nach einer Zufluchtswährung nachgelassen hat. Zudem hat das Haushaltspaket der britischen Regierung zur Stabilisierung des Pfunds beigetragen.

    Unserer Ansicht nach ändert das jüngst angekündigte Haushaltspaket jedoch nichts an den grundlegenden Faktoren, die das Pfund beeinflussen. Die Zahlungsbilanz einer Volkswirtschaft und die Zinsdifferenzen sind die wichtigsten Triebkräfte auf den heutigen Devisenmärkten. Das Zahlungsbilanzdefizit des Vereinigten Königreichs verschlechtert sich weiter, was die Währung nach wie vor belastet. Selbst die Zinserhöhungen der BoE unterstützen das Pfund unter Umständen nicht. Denn das sich verlangsamende Wachstum der britischen Wirtschaft wird begleitet von der anhaltenden Unsicherheit über die Handelsbeziehungen mit der EU. Wir bleiben bei unserer Ansicht, dass sich das Pfund gegenüber dem Dollar abschwächen wird, und sehen den Pfund-Dollar-Kurs bis Ende 2022 bei 1.22.

    Nach einer deutlichen Aufwärtsentwicklung bei britischen Staatsanleihen liegen die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen mit 2,15% leicht über unserer Zwölfmonatsprognose von 2,00%. Auf kürzere Sicht sind die Anleger unsicher, ob die Zentralbanken den Inflationsdruck eindämmen können, was für anhaltenden Aufwärtsdruck auf den Anleiherenditen sorgt. Die Anleger bleiben zudem vorsichtig, da die erste Zinserhöhung der BoE im Dezember 2021 die Märkte überrascht hat. Wir sind deshalb sowohl gegenüber nominalen Anleihen als auch gegenüber inflationsgeschützten Anleihen vorsichtig, zumal die Bewertungen mit realen Renditen zehnjähriger inflationsgeschützter britischer Staatsanleihen nahe bei -2% hoch sind.

    Das neue Haushaltspaket verringert … die Risiken für die britische Wirtschaft …

    Wir unterscheiden vorsichtig zwischen politischen Turbulenzen und Anlageaussichten. Das neue Haushaltspaket verringert unserer Ansicht nach die Risiken für die britische Wirtschaft, und die anhaltende Schwäche des Pfunds sollte unsere Präferenz für britische Aktien weiter unterstützen. Der britische Markt hat den Vorteil, dass er eine ausgewogene Mischung aus wertorientierten und defensiven Merkmalen aufweist, insbesondere eine Mischung aus Aktien der Sektoren Energie, Bergbau, Basiskonsumgüter und Gesundheitswesen. Innerhalb dieses Markts bevorzugen wir die Exporteure im FTSE 100 Index gegenüber den eher inländisch orientierten Unternehmen des FTSE 250 Index. Obwohl sich die relativen Bewertungen verringert haben, halten wir es in der heutigen Wirtschaft immer noch für sinnvoll, sich auf grössere, exportorientierte Unternehmen zu konzentrieren.

    Wir halten an einer neutralen Portfolioposition für Aktien fest. Dabei bevorzugen wir Substanz- und Qualitätsaktien in Sektoren und Regionen, einschliesslich Grossbritanniens, wo wir glauben, dass die Unternehmen höhere Kosten leichter an ihre Kunden weitergeben oder Zeiten mit geringerem Wachstum überstehen können. In diesem schwierigen Marktumfeld nutzen wir weiterhin Optionsstrategien auf wichtige Indizes, um die Portfoliorisiken zu steuern.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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