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    Krisen treiben die Entwicklung Europas voran, während die Kerninflation hoch bleibt

    Krisen treiben die Entwicklung Europas voran, während die Kerninflation hoch bleibt
    Stéphane Monier - Chief Investment Officer<br/> Lombard Odier Private Bank

    Stéphane Monier

    Chief Investment Officer
    Lombard Odier Private Bank

    Kernpunkte

    • Die aktualisierten Prognosen der EZB deuten auf einen nachlassenden Preisdruck und ein BIP-Wachstum von 1% im Jahr 2023 hin.
    • Während die EZB bestrebt ist, die finanzielle Stabilität aufrechtzuerhalten, setzt sie den Kampf gegen die Inflation fort. Die Kerninflation der Eurozone bleibt hoch, und das Lohnwachstum hat ein Rekordniveau erreicht.
    • Die politische und fiskalische Infrastruktur der EU entwickelt sich durch Krisen weiter. Während der Staatsschuldenkrise und Covid sowie jetzt angesichts des Kriegs in der Ukraine hat sie sich als anpassungsfähig erwiesen.
    • Da bessere Terms of Trade und der Zufluss von Anlegerkapital die Nachfrage nach dem Euro stärken, prognostizieren wir einen EURUSD-Kurs von 1,10 in drei und 1,12 in zwölf Monaten.

    Wer letzte Woche in Berlin den Bus nehmen wollte oder in Paris zu Fuss unterwegs war, könnte zum Schluss gekommen sein, dass die europäische Wirtschaft Probleme hat. Die Inflation macht sich in den Geldbeuteln der europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher bemerkbar. Die Gewerkschaften reagieren darauf mit Forderungen nach höheren Löhnen oder kämpfen gegen eine Anhebung des Rentenalters. Nach einigen Massstäben scheint die europäische Wirtschaft jedoch robust, und die europäischen Institutionen passen sich weiter an.

    An der jüngsten geldpolitischen Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 16. März hat der Zentralbankrat den Hauptrefinanzierungssatz wie geplant um 50 Basispunkte (Bp.) auf 3,5% angehoben. Wenige Tage zuvor waren regionale US-Banken wie die Silicon Valley Bank zusammengebrochen, und die Zukunft der Credit Suisse Group war ungewiss. Die EZB liess indes die bisherige Formulierung fallen, dass die Zinsen „mit stetigem Tempo“ angehoben werden müssten. Stattdessen bestätigte sie, nötigenfalls Liquidität für die Banken bereitzustellen.

    Die aktualisierten Prognosen der Notenbank fanden weniger Beachtung. Die EZB rechnet mit einer Abschwächung der Inflation in der 20 Nationen umfassenden Eurozone auf 5,3% im Jahr 2023 und 2,9% 2024. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) soll laut EZB-Prognose auf 1% anziehen. Letzte Woche wurden diese Einschätzungen durch Daten unterstützt: Die Teuerung der Verbraucherpreise sank in der Eurozone im März auf 6,9% zum Vorjahr, hauptsächlich dank rückläufiger Energiepreise. In Frankreich verringerte sich die Verbraucherpreisinflation im März auf 6,6% – die erste Verlangsamung seit Dezember 2022. In Deutschland ging die Teuerung auf 7,4% zurück. Und in Spanien halbierte sich die annualisierte Verbraucherpreisinflation beinahe – von 6% im Februar auf 3,3% im März.

     

    Die Kernpreise steigen weiter

    Dieses Bild kann jedoch täuschen. Klammert man volatile Komponenten wie Lebensmittel und die sinkenden Energiepreise aus, ergibt sich die sogenannte Kerninflation. Diese bildet längerfristige Veränderungen der zugrunde liegenden Preise für Güter und Dienstleistungen ab. Die Kerninflation betrug im März in der Eurozone 5,7% im Vergleich zum Vorjahr. Zum Leidwesen der EZB-Vertreter ist die Kerninflation ein nachlaufender Indikator. Sie deckt sich zudem mit dem Lohnwachstum in der Region, das weiter anzieht. In den letzten drei Monaten des Jahres 2022 erreichten die Lohnerhöhungen eine rekordhohe Jahresrate von 5,7%. Dies könnte die Inflation mittelfristig weiter anheizen. Das Lohnwachstum ist sowohl für die EZB als auch für die US-Notenbank ein wichtiger Massstab, da die Löhne die Teuerung antreiben. Der Preisdruck dürfte erst deutlicher nachlassen, wenn sich das Lohnwachstum verlangsamt und die Arbeitslosenquote nach ihrem Rekordtief von 6,6% im März wieder steigt.

    Wir erwarten, dass 2023 hauptsächlich die Erholung im Zentrum stehen wird

    Ein Teil des Preisanstiegs in Europa wird, ebenso wie in den USA, von den in der Pandemie angesammelten relativ hohen Ersparnissen der Verbraucher abgefangen. Die Ersparnisse der Privathaushalte in der Eurozone gingen von rekordhohen rund 25% des verfügbaren Einkommens zu Beginn Pandemie auf 13% im Januar zurück. Dies entspricht in etwa dem Vorpandemie-Niveau. Im Vergleich dazu liegt die Sparquote in den USA bei 4,7%.

    Die letzten Wochen waren von Turbulenzen an den Finanzmärkten geprägt, und die Inflation liegt in den Industriestaaten immer noch weit über dem Zielwert der Notenbanken von durchschnittlich 2%. Dennoch erwarten wir, dass 2023 hauptsächlich die Erholung im Zentrum stehen wird. Fortschritte in der Robotik und der künstlichen Intelligenz sowie eine engere Zusammenarbeit und ein verstärkter Handel auf regionaler Ebene werden im Laufe der Zeit disinflationäre Kräfte freisetzen. Sie bilden ein Gegengewicht zum Inflationsdruck, der sich aus der Ressourcenknappheit und Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels, dem schrumpfenden Arbeitskräfteangebot und den steigenden Produktionskosten ergibt. Trotzdem ist es sehr wahrscheinlich, dass die Inflation noch einige Jahre lang höher sein wird als vor der Pandemie.

     

    Krisen treiben die Entwicklung voran

    Die EU ist bekannt dafür, dass sie sich nur durch Krisen weiterentwickelt. Bei jeder Krise schien die EU einer existenziellen Gefahr ausgesetzt. Doch am Ende erwiesen sich ihre Prozesse als anpassungsfähig oder wurden gestärkt. Im letzten Jahrzehnt brachte die Staatsschuldenkrise Mario Draghis Geldpolitik nach dem Motto „Whatever it takes“ (was immer nötig ist) hervor. So wurde die Finanzarchitektur der Eurozone als „Kreditgeberin der letzten Instanz“ durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus erheblich verbessert. 2016 erinnerte der Brexit die Mitgliedstaaten daran, wie wichtig die EU für ihre Wirtschaft ist. Als 2020 die Pandemie ausbrach, fehlte es im europäischen Gesundheitswesen an Koordination, und die italienische Regierung beschaffte medizinische Masken in Russland. Letztlich führte die Krise jedoch zur Bildung eines Wiederaufbaufonds, der es der Europäischen Kommission ermöglicht, zinsgünstige Darlehen zu vergeben, um die EU-Volkswirtschaften zu unterstützen. Am Ende einigte sich die EU sogar auf ein „NextGenEU“-Paket, das Investitionen in die Infrastruktur und den Umstieg auf saubere Technologien fördern soll.

    Bei jeder Krise schien die EU einer existenziellen Gefahr ausgesetzt. Doch am Ende erwiesen sich ihre Prozesse als anpassungsfähig

    Die stärkste wirtschaftliche Konkurrenz erwachse der EU aus dem US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA), erklärte Mujtabe Rahman von der Eurasia Group kürzlich an einem von Lombard Odier ausgerichteten Seminar. Zusammen genommen beliefen sich die im IRA vorgesehenen Subventionen und Steuernachlässe auf USD 391 Mrd. Hinzu kämen USD 108 Mrd. für das Gesundheitswesen. Durch diese Anreize könnten die USA der EU Technologien und Investitionen wegschnappen, erläuterte Rahman. Im Vergleich dazu sei die Verwaltung und Verteilung der EUR 750 Mrd. aus dem NextGenEU-Paket umständlicher, fügte er hinzu. Bei dem EU-Paket bestehe die Gefahr, dass es als Reaktion auf die Pandemie angesehen und daher nicht wiederholt werde, sagte Enrico Letta während des erwähnten Seminars. Letta ist ehemaliger Ministerpräsident Italiens und jetzt Präsident des in Brüssel ansässigen Jacques Delors Institute.

    Seit der russischen Invasion in der Ukraine sei die Herausforderung für die EU militärischer Natur. Sie liege ungewöhnlicherweise ausserhalb ihrer eigenen Grenzen und sei ein Impulsgeber für die politische Weiterentwicklung, so Letta. Er sprach sich dafür aus, an einer EU der verschiedenen Geschwindigkeiten festzuhalten. Dabei könnten einige EU-Mitglieder beschliessen, Themen wie staatliche Hilfen oder die Sicherheit voranzutreiben, während sich andere Mitgliedstaaten dagegen entscheiden. Es bleibe abzuwarten, ob die EU lernen könne, gemeinsame Herausforderungen proaktiv anzugehen, so Letta, oder ob sie dazu verurteilt sei, sich nur aufgrund von Krisen weiterzuentwickeln. Auf kurze Sicht sei die Widerstandsfähigkeit der EU dadurch infrage gestellt, dass die traditionelle Führung durch Frankreich und Deutschland fehle. Beide Regierungen seien durch innenpolitische Themen abgelenkt. Auf längere Sicht habe die Invasion in der Ukraine eine Diskussion über die EU-Erweiterung ausgelöst, erklärte Letta. Unterdessen werde das Abstimmungssystem, das eine „qualifizierte Mehrheit“ vorschreibt, die Konsensbildung weiter erschweren. Langfristig brauche die EU sowohl ein „Kern-NextGen-Programm“ als auch eine gemeinsame Verteidigungsstrategie, schloss Letta.

    Anleihespreads und der Euro

    Angesichts dieser geopolitischen Gefahren hat sich die Renditedifferenz (Spread) zwischen zehnjährigen deutschen und italienischen Staatsanleihen dieses Jahr verengt. Der Spread misst den Unterschied zwischen den Zinsen, welche die beiden Regierungen für Kredite zahlen müssen. Derzeit liegt der Spread bei rund 180 Bp. und ist damit grösser als während der Pandemie, als er etwa 100 Bp. betrug. Damals war die finanzielle Zusammenarbeit in der EU wohl am intensivsten. Da die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihen vom negativen Bereich Anfang 2022 auf 2,7% im März 2023 gestiegen ist, haben wir das Engagement und die Duration in unseren Portfolios angehoben. Bei Unternehmensanleihen bevorzugen wir nach wie vor Investment-Grade-Papiere gegenüber Hochzinsanleihen.

    Angesichts der Unsicherheit über die Probleme im Bankensektor der USA und Europas bleiben wir vorerst in europäischen Aktien untergewichtet

    Die Märkte haben bereits begonnen, einen Zinshöhepunkt vorwegzunehmen. Die Bewertungen europäischer Aktien sind gestiegen, während die Gewinnerwartungen für 2023 leicht nach oben korrigiert worden sind. Jegliche Anzeichen einer Wachstumsbeschleunigung in der Eurozone würden die europäischen Aktienmärkte beflügeln. Angesichts der Unsicherheit über die Probleme im Bankensektor der USA und Europas bleiben wir jedoch vorerst in europäischen Aktien untergewichtet.

    Gegenüber dem US-Dollar halten wir an unseren Prognosen eines Eurokurses von 1,10 in drei Monaten und 1,12 in zwölf Monaten fest. Die Währungsströme sind nach wie vor vorteilhaft, und die vierteljährlichen Zahlungsbilanzströme sind so hoch wie seit dem dritten Quartal 2020 nicht mehr. Diese Dynamik dürfte noch einige Zeit fortbestehen. Die Leistungsbilanz der Eurozone wird immer noch durch niedrigere Erdgaspreise unterstützt, während die Portfoliozuflüsse stark bleiben, da viele Europäer Anlagen aus dem Ausland zurückholen.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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