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    Die wirtschaftliche Outperformance der USA dürfte sich verringern

    Die wirtschaftliche Outperformance der USA dürfte sich verringern
    Samy Chaar - Chefökonom und CIO Schweiz

    Samy Chaar

    Chefökonom und CIO Schweiz

    Kernpunkte

    • Die im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften ausserordentliche Entwicklung der USA dürfte sich in den kommenden Quartalen zwar abschwächen, aber nicht verschwinden; Hintergrund sind eine erwartete Konsumverlangsamung, ein besseres Gleichgewicht am Arbeitsmarkt und hohe Zinsen, welche die Aktivität bremsen.
    • Aufgrund dieser Trends könnte die Fed Spielraum für eine erste Zinssenkung in der zweiten Jahreshälfte 2024 haben. Doch die Geldpolitik dürfte restriktiv bleiben – mit einem Zinsniveau von rund 5% in einem Jahr.
    • Die Renditen von US-Staatsanleihen haben sich den Durchschnittswerten von vor 2008 angenähert, unter anderem weil die Anleger den „neutralen“ Leitzins neu beurteilen. Unseres Erachtens liegt dieser nun näher bei 3,5%.
    • Wir behalten die Übergewichtung von US-Staatsanleihen bei und bevorzugen weiterhin ein Engagement im US-Dollar.

    Die ausserordentliche Entwicklung der US-Wirtschaft im Vergleich zu anderen Industrieländern lässt sich mehr als ein Jahrzehnt zurückverfolgen. Durch das starke US-Wachstum im dritten Quartal hat sich der Vorsprung noch vergrössert. Der Unterschied dürfte sich im Zuge einer sich abschwächenden US-Wirtschaft zwar verkleinern, aber nicht vollständig verschwinden.

    Die US-Wirtschaft hat einer für 2023 erwarteten Rezession getrotzt und ein bemerkenswertes Wachstum verzeichnet. Sie legte im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 4,9% zu. Gleichzeitig wuchs die Wirtschaft der Eurozone im Jahresvergleich nur um 0,1% (siehe Grafik 1), und die japanische Wirtschaft könnte sogar geschrumpft sein.

    Ein Teil der überdurchschnittlichen Entwicklung der US-Wirtschaft ist auf eine robustere Erholung nach der grossen Finanzkrise zurückzuführen, gefolgt von staatlicher Grosszügigkeit während der Covid-Pandemie. Hinzu kommen höhere Investitionen und Verbraucherausgaben, die durch eine historisch niedrige Arbeitslosigkeit und steigende Reallöhne gestützt werden. Darüber hinaus sind die meisten Hausbesitzer in den USA durch langfristige, festverzinsliche Hypotheken vor höheren Kreditkosten geschützt. Die Kombination aus steigenden Löhnen und Festhypotheken bedeutet, dass die realen Tilgungsraten für Wohneigentum in den USA gesunken sind. Dies im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen entweder die Löhne nicht so stark angezogen haben oder Hypotheken mit variablen Zinssätzen weiter verbreitet sind – oder beides. Ein boomender Technologiesektor hat ebenfalls zur wirtschaftlichen Expansion der USA beigetragen. Ausserdem litten die Vereinigten Staaten seit Anfang 2022 weniger als die europäischen Volkswirtschaften unter dem Energiekostenschock nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.

    Nach einer so aggressiven Straffung der Geldpolitik ist eine Phase mit einem unter dem Trend liegenden Wachstum wahrscheinlich

    Drittes Quartal, Wachstumsausblick, Disinflation

    Dennoch war die Entwicklung der USA im dritten Quartal ausserordentlich. Die Ausgaben für Dienstleistungen waren im Quartalsverlauf doppelt so hoch wie im Durchschnitt des Jahrzehnts vor Covid (siehe Grafik 2). Hat die „Fun-Flation“ eine Rolle gespielt? Die Popularität der Konzerttourneen von Sängerinnen wie Beyoncé, Madonna oder Taylor Swift hat sich auf die Verbraucherausgaben ausgewirkt, die während des Quartals insgesamt um 4,0% gestiegen sind. Weitaus bedeutender war jedoch eine massive Zunahme der nationalen Verteidigungsausgaben im Vergleich zur jüngsten Vergangenheit. Überdies leistete der Lageraufbau von Unternehmen im vergangenen Quartal einen Beitrag von 1,3%.

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    Wie geht es weiter? Wir erwarten, dass sich das US-Wachstum im letzten Quartal des Jahres abschwächt. Nach einer so aggressiven Straffung der Geldpolitik ist eine Phase mit einem unter dem Trend liegenden Wachstum wahrscheinlich. Die Unternehmensinvestitionen sind rückläufig, die Lagerbestände werden nicht nochmals aufgefüllt, und die hohen Zinsen schlagen weiterhin auf die zinssensitiven Sektoren durch. Auch die Wiederaufnahme der Rückzahlung von Studiendarlehen wird die Kaufkraft einiger Verbraucher belasten.

    Der US-Arbeitsmarkt ist immer noch dabei, in ein Gleichgewicht zurückzufinden. Die Arbeitsmarktbedingungen mögen sich nicht sofort abschwächen. Doch die Löhne steigen jetzt kaum noch im Einklang mit der Inflation, die Ersparnisse sind sehr niedrig, die Zahlungsrückstände bei Kreditkarten nehmen zu, und die Energiekosten sind volatil. Vor diesem Hintergrund scheint das im dritten Quartal verzeichnete Konsumtempo der US-Haushalte nicht nachhaltig. Wir erwarten daher eine Verlangsamung in den kommenden Monaten. Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren rechnen wir für das Gesamtjahr mit einem Wachstum der US-Wirtschaft von 2,3% und für 2024 mit einer Abschwächung auf 0,7%.

    Ohne zusätzliche Schocks bei den Energie- und Lebensmittelpreisen dürfte sich die Teuerung in den kommenden Quartalen weiter abschwächen

    Das jüngst starke Wachstum und der robuste Arbeitsmarkt deuten zwar darauf hin, dass sich die Disinflation verlangsamt. Doch sie dürfte weiterhin in Richtung des Ziels der US-Notenbank Fed tendieren. Der Deflator der persönlichen Konsumausgaben (PCE), die bevorzugte Messgrösse der Fed, und die Verbraucherpreisinflation sind im September im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Die dreimonatige annualisierte Veränderung der saisonbereinigten PCE-Kerninflation lag trotz der leichten Zunahme im September bei 2,4%. Ohne zusätzliche Schocks bei den Energie- und Lebensmittelpreisen dürfte sich die Teuerung in den kommenden Quartalen weiter abschwächen.

    US-Renditen und neutraler Zinssatz

    Die PCE-Kerninflation könnte sogar unter die Prognosen der Fed für das letzte Quartal 2023 sinken. Dies wäre eine Rechtfertigung für die Notenbank, die Zinsen für den Rest des Jahres unverändert zu lassen. Nachdem die Fed am 2. November zum zweiten Mal in Folge eine Zinspause eingelegt hat, lautet der Marktkonsens, dass der Zinserhöhungszyklus der Fed nun abgeschlossen ist. Gestützt wird die Konsensmeinung durch die Bemerkung des Fed-Vorsitzenden Jerome Powell, dass die Finanzmarktbedingungen nun angespannt seien.

    Diese Entwicklung steht im Einklang mit der Politik der Notenbanken in anderen Industrieländern, darunter der Eurozone, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz. Dort ist das Wachstum bereits ins Stocken geraten. Dennoch bleibt das Risiko eines erneuten Inflationsdrucks in den USA im Zuge eines ausserordentlichen Wachstums oder eines potenziellen Ölpreisschocks bestehen. Jerome Powell hat weitere Anhebungen des Leitzinses nicht ausgeschlossen.

    Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen sind in den letzten Monaten weiter gestiegen. Weshalb? Durch die Reduzierung der Fed-Bilanz ist ein wichtiger Käufer zehnjähriger Schuldtitel weggefallen, während das Angebot an Staatsanleihen zunimmt. Das US-Haushaltsdefizit wird für 2023 auf USD 1,7 Bio. prognostiziert, gegenüber USD 1 Bio. im Jahr 2019. Die ausländische Nachfrage nach US-Staatsanleihen lässt nach. So lagen die chinesischen Bestände an US-Staatsanleihen im Juli 2023 12,5% unter dem Vorjahresniveau. Zudem dürfte Japans allmähliche Lockerung der Zinskurvenkontrolle die Attraktivität seiner eigenen Staatsanleihen erhöhen und die Nachfrage nach US-Staatspapieren verringern. Auch die langfristigen Renditen korrigieren – von sehr niedrigen Niveaus und von einer lange Zeit bestehenden Inversion aus.

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    Bis zum 2. November war das Tempo des Renditeanstiegs zehnjähriger Staatsanleihen auf ein Hoch von 5% überraschend, doch dies sollte im historischen Kontext gesehen werden. In den zehn Jahren vor 2008 lagen die zehnjährigen Renditen im Durchschnitt zwischen 5% und 6%. Nun beträgt die Rendite der Benchmarkanleihe 4,58%.

    Bedeutet die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft, dass die Zinsen in Zukunft strukturell höher sein werden? Der jüngste Renditeanstieg beruht zum Teil darauf, dass die Anlegerinnen und Anleger den „neutralen“ Zinssatz – also das Zinsniveau, welches das Wachstum weder fördert noch einschränkt – neu beurteilen. In der Vergangenheit schätzte die Fed diesen Wert auf etwa 2,0% bis 2,5%. Wir glauben nun, dass der neutrale Zinssatz eher bei 3,5% liegt.

    Die Fed könnte Spielraum für eine erste Zinssenkung im dritten Quartal 2024 und eine weitere gegen Ende des nächsten Jahres haben. In einem Jahr könnte der Leitzins der Fed rund 5% betragen

    Werden die Renditen weiter steigen? Vielleicht – sofern die US-Wirtschaft stark bleibt. Doch unserer Meinung nach verlangsamt sich das Wachstum, und die Disinflation tendiert weiter in Richtung des durchschnittlichen Ziels der Notenbank von 2%. Das würde der Fed Spielraum für eine erste Zinssenkung im dritten Quartal 2024 und eine weitere gegen Ende des nächsten Jahres bieten. In einem Jahr könnte der Leitzins der Fed dann rund 5% betragen.

     

    Ist die Outperformance vorbei?

    Bedeutet ein geringeres Wachstum, dass sich auch die Outperformance der US-Unternehmensgewinne abschwächen wird? In den letzten Jahrzehnten haben die US-Unternehmen überdurchschnittlich hohe Gewinne erzielt – dank Steuer- und Zinssenkungen sowie Grössenvorteilen, die aus Beinahe-Monopolen in einigen Technologiesektoren resultieren. Dies führte zu einem überdurchschnittlichen Gewinnwachstum in den USA gegenüber anderen Märkten und im Laufe der Zeit dazu, dass die Anleger den Gewinnen der US-Unternehmen ein höhere Bewertungskennzahl zuordneten. Mit anderen Worten: Die breite Outperformance der US-Aktien war grösstenteils durch bessere Fundamentaldaten gerechtfertigt. Kurzfristig dürfte die Innovation in den USA die Gewinne in bestimmten Sektoren, einschliesslich künstlicher Intelligenz, weiterhin stützen. Der Unterschied zu anderen Aktienmärkten dürfte jedoch nicht so gross sein, was für eine anhaltende regionale Diversifizierung der Portfoliopositionen spricht.

    In diesem Umfeld bleibt unsere Anlagestrategie vorsichtig. Es gilt, die verzögerten Auswirkungen hoher Zinsen gegen die jüngst robuste Wirtschaft abzuwägen. Unsere neutrale Allokation in Aktien und die Übergewichtung von Anleihen bleiben bestehen, wobei wir uns auf US-Staatsanleihen – die jetzt wettbewerbsfähige erwartete Renditen bieten – und Investment-Grade-Unternehmensanleihen konzentrieren. Wir bevorzugen weiterhin ein Engagement im US-Dollar. Zwar könnte die Währung konsolidieren, wenn die Outperformance der USA nachlässt. Aber das schleppende Wachstum in anderen Ländern und die immer noch hohen Renditen von US-Staatsanleihen dürften den Dollar stützen, insbesondere gegenüber dem Pfund Sterling und dem Euro.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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