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    Chinas „Nulltoleranz“ stellt Wachstum und Renminbi auf die Probe

    Chinas „Nulltoleranz“ stellt Wachstum und Renminbi auf die Probe
    Stéphane Monier - Chief Investment Officer<br/> Lombard Odier Private Bank

    Stéphane Monier

    Chief Investment Officer
    Lombard Odier Private Bank

    Kernpunkte

    • Strenge gesundheitspolitische Massnahmen gegen Covid bremsen Chinas Wirtschaft aus. Indessen bereitet sich das Land auf den wichtigen Kongress der Kommunistischen Partei vor
    • Wir erwarten ein BIP-Wachstum von 4,3% im Jahr 2022, was deutlich unter dem offiziellen Ziel von 5,5% liegt
    • Die PBoC wird wahrscheinlich die Mindestreserveanforderungen für Banken weiter senken und die Behörden verpflichten sich zu zusätzlichen Haushaltsausgaben, einschliesslich Infrastrukturinvestitionen
    • Zur Diversifizierung des Portfolios halten wir ein gewisses Engagement in chinesischen Schuldtiteln aufrecht, während wir gegenüber chinesischen Aktien neutral bleiben. Wir gehen davon aus, dass sich das Währungspaar Dollar/Renminbi in den kommenden drei Monaten in einer Spanne von 6.7 bis 6.9 bewegen wird

    Chinas Währung hat sich dramatisch abgeschwächt. Seit Mitte April ist der Renminbi gegenüber dem US-Dollar auf den niedrigsten Stand seit eineinhalb Jahren gesunken. Der Gegenwind für die chinesische Wirtschaft wird immer stärker. Dies lässt Zweifel daran aufkommen, ob sich mit der derzeitigen Mischung aus makroökonomischen und gesundheitspolitischen Massnahmen das von der chinesischen Regierung in einem wichtigen politischen Jahr angestrebte Wachstum erreichen lässt.

    Chinas Wirtschaft verlangsamt sich seit Beginn des zweiten Quartals deutlich, weil das Land mit einer Null-Covid-Politik versucht, die Omikron-Variante zurückzudrängen. Die Datenerhebungen für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor in China wiesen im April den zweiten Monat in Folge auf eine Verschlechterung hin, wobei der Dienstleistungssektor mit einem Wert von 42 den niedrigsten Stand seit Februar 2020 erreichte. Die Arbeitslosenquote in den Städten Chinas stieg im März auf 5,8% und dürfte weiter zulegen. Selbst wenn China ab Mitte Mai die Beschränkungen lockert, wird sich das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr auf weniger als 2% verlangsamen. Das wäre das zweitniedrigste Wachstum seit den 1990er-Jahren.

    Die meisten Länder der Welt „koexistieren“ auf unterschiedliche Weise mit Covid. China hingegen bemüht sich weiterhin, Infektionsherde im Keim zu ersticken. Die hohe Übertragbarkeit neuer Varianten zwingt die Behörden jedoch dazu, auf unbeliebte Massnahmen wie das Einsperren der Bewohner in ihre Wohnungen zurückzugreifen. Was Ende März als zweistufiger, neuntägiger Lockdown begann, um Covid-Ausbrüche in einigen der grössten Städte wie Schanghai, Peking und Shenzhen einzudämmen, ist mittlerweile zu einem zweimonatigen Kampf ausgeartet, der die Isolierung von schätzungsweise 370 Millionen Menschen in 45 Gebieten erfordert.

    Wenn das Land seine Strategie im Bereich der öffentlichen Gesundheit nicht grundlegend ändert, werden die Grossstädte weiterhin Lockdowns verhängen müssen, was dem Wachstum unvermindert negative Schocks bescheren wird

    Bis vor Kurzem sah die chinesische Pandemiestrategie effektiv aus. Zwei Jahre lang verzeichnete das Land nie mehr als ein paar Hundert Covid-Infektionen pro Tag, wodurch die Wirtschaft vor Störungen geschützt wurde. Infolgedessen erholte sich die chinesische Wirtschaft schnell vom ersten Pandemieschock und die Gesamtzahl der Todesfälle im Verhältnis zur Bevölkerung war niedriger als in jeder anderen grossen Volkswirtschaft. Der Ansatz schien noch im Februar gut zu funktionieren, als neue Infektionsherde schnell unterdrückt wurden, ohne dass es nennenswerte Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit gab.

    Zwischen März und April stieg die Zahl der gemeldeten neuen Fälle in China dann sprunghaft auf durchschnittlich 30'000 pro Tag an, was Lockdowns nach sich zog. Die infektiösere Omikron-Variante dürfte ungeachtet der strengen Vorschriften in China indes kaum vollständig zu unterdrücken sein. Während die Zahl der Fälle in Schanghai zurückgegangen ist, herrscht in der Stadt Peking nun Alarmbereitschaft wegen eines erheblichen Anstiegs der Infektionen. Wenn das Land seine Strategie im Bereich der öffentlichen Gesundheit nicht grundlegend ändert, werden die Grossstädte weiterhin Lockdowns verhängen müssen, was dem Wachstum auf kurze Sicht unvermindert negative Schocks bescheren wird.

    Wir gehen davon aus, dass der Grundansatz von „Zero Covid“ trotz der wirtschaftlichen Kosten in den nächsten Monaten beibehalten wird. Die ältere Bevölkerung Chinas benötigt mehr Schutz gegen das Virus, da die Auffrischungsimpfungen unzureichend und die inländischen Impfstoffe weniger wirksam sind. Der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Ende dieses Jahres, an dem die Amtszeit von Präsident Xi Jinping verlängert und die Eliten der Kommunistischen Partei (KPCh) befördert werden sollen, lässt eine Wiedereröffnung der Städte politisch inakzeptabel erscheinen, solange die Zahl der Todesfälle wegen Covid weiter steigt. Jetzt, da sich die Lage in Schanghai zu stabilisieren scheint, werden die Behörden es vorziehen, dass auf eine wirksame Virusbekämpfung eine Lockerung der strengsten Bewegungsbeschränkungen folgt, damit sich der Konsum und die industriellen Aktivitäten wieder erholen können.

    Längerfristig gehen wir noch immer davon aus, dass China die Wiedereröffnung nach dem KPCh-Kongress plant. Dabei dürften Massentests mit wirksameren US-amerikanischen und europäischen Impfstoffen kombiniert oder orale antivirale Pillen grossflächig eingesetzt werden. Die Umstellung Chinas auf eine Endemiestrategie wird aus heutiger Sicht allerdings kaum vor Jahresende stattfinden.

    Wachstumsdilemma

    Angesichts der Auswirkungen der Covid-Ausbrüche auf den Konsum und die Industrieproduktion in der ersten Jahreshälfte 2022 rechnen wir für 2022 mit einem BIP-Wachstum im Bereich von 4,3%, sofern die Wirtschaft sich bis Juni erholen und dann wieder zulegen kann. In dieser Annahme sind die jüngsten Andeutungen der chinesischen Führung über weitere Lockerungen berücksichtigt. Sollte die Wirtschaft weiterhin unter aufeinanderfolgenden Lockdown-Schocks in wichtigen urbanen Zentren leiden, würde das Wachstum im Gesamtjahr mit Sicherheit auf unter 4% fallen.

    Wir rechnen für 2022 mit einem BIP-Wachstum im Bereich von 4,3%, sofern die Wirtschaft sich bis Juni erholen und dann wieder zulegen kann

    Da das Wachstum das offizielle Ziel verfehlen wird, gibt die chinesische Führung den Beamten die Order für weitere Unterstützungsmassnahmen. Präsident Xi hat Berichten zufolge die Beamten angewiesen, dass Chinas Wachstum das der USA übertreffen sollte und es Anstrengungen zur Stärkung der Infrastruktur geben muss. Das Politbüro der KPCh kündigte am 29. April ausserdem an, dass man „keine Zeit verlieren und weitere politische Instrumente planen“ sowie „die Wirtschaft in einem vernünftigen Rahmen halten sollte.

    Während sich die amerikanische sowie die europäische Geldpolitik auf eine Straffung konzentrieren, um die Inflation zu bekämpfen, geht die chinesische Zentralbank seit fast einem Jahr in die entgegengesetzte Richtung, um das Wachstum anzukurbeln. Als sich die Wirtschaft verlangsamte, senkte die People’s Bank of China (PBoC) im Juli 2021 einmal mehr den Mindestreservesatz (RRR) des Landes, d. h. den Anteil der Einlagen, den die Geschäftsbanken zurücklegen müssen. Eine Senkung des RRR setzt mehr Liquidität im Bankensystem frei. Wir gehen davon aus, dass die PBoC diese Quote in den nächsten Wochen um weitere 25 Basispunkte senken wird.

    Ausserdem glauben wir, dass die Regierung die Staatsausgaben stärker erhöhen wird als im offiziellen Haushaltsplan des Nationalen Volkskongresses im März angekündigt. Sie dürfte den Privathaushalten sowie kleinen und mittelgrossen Unternehmen eine direkte Unterstützung anbieten, um den Auswirkungen von Lockdowns entgegenzuwirken. Darüber hinaus wird die Regierung eine verstärkte Emission von Anleihen auf kommunaler Ebene sowie aggressivere Investitionen in Infrastrukturprojekte in Erwägung ziehen. Wir gingen bisher von einer Erhöhung der Staatsausgaben im Umfang von 1% des BIP aus und glauben nun, dass dieser Wert auf 2% oder mehr steigen wird. Die neuen Konjunkturprogramme werden Chinas Infrastruktur und strategische Technologiebranchen in gewissem Masse unterstützen.

    Gleichzeitig plant die PBoC, die Kreditvergabe an bestimmte Sektoren und Kreditnehmer zu erleichtern. Um die Fiskalpolitik weiter voranzutreiben, müsste Chinas Führung die Finanzierungsplattformen der lokalen Regierungen nutzen, die nach der Krise von 2008 für Instabilität sorgten. Im Moment erscheint dies unwahrscheinlich.

     

    Verändert sich auch die Regulierungspolitik?

    Die Regierung hat zudem damit begonnen, Änderungen in der Regulierungspolitik anzudeuten. Im Immobiliensektor, der etwa ein Viertel des BIP ausmacht, ist bereits eine allmähliche Verschiebung zu beobachten. Eine Reihe von Beschränkungen, die im August 2021 eingeführt worden waren, um Spekulationen und die Verschuldung zu begrenzen, haben die Nachfrage nach Wohnraum und Hypotheken gebremst. Um die Risiken im Immobiliensektor einzudämmen, haben die lokalen Behörden nun die Kreditbedingungen für Hauskäufer erleichtert. Die strengen Kontrollen für die Finanzierung von Immobilienentwicklern werden ebenfalls gelockert: Immobilienentwickler können die inländischen Kapitalmärkte nun direkt anzapfen oder von Banken ausgestellte Akkreditive nutzen. Ungeachtet dessen bleibt der Markt volatil, da weiterhin Sorgen um Zahlungsausfälle und Umschuldungen chinesischer Immobilienentwickler bestehen.

    Die Regierung hat damit begonnen, Änderungen in der Regulierungspolitik anzudeuten

    Die chinesischen Behörden scheinen ausserdem daran zu arbeiten, die Spannungen im Zusammenhang mit den Zulassungsbedingungen für chinesische Unternehmen an den US-Börsen abzubauen. Seit März 2022 führt die US-Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission, SEC) eine Liste von Aktien chinesischer Unternehmen, die in den USA börsennotiert sind und den seit 2020 geltenden Prüfungs- und Rechnungslegungsvorschriften nicht entsprechen. Sofern die aufgeführten chinesischen Unternehmen nicht in der Lage sind, der US-Prüfungsbehörde die geforderten Finanzunterlagen vorzulegen, kann laut dem US-Gesetz über die Rechenschaftspflicht ausländischer Unternehmen ein Delisting ihrer Aktien veranlasst werden.

    Zwar gibt es noch keine eindeutige Lösung für das Problem, aber China hat signalisiert, dass es eine weitere Erschütterung der Kapitalmärkte verhindern will. Dies lässt zumindest darauf hoffen, dass diese Frage nicht eskalieren wird. Doch selbst wenn chinesische Unternehmen auf der SEC-Liste nicht konformer Firmen stehen, haben sie ein Zeitfenster von zwei Jahren, um die Anforderungen zu erfüllen oder gegebenenfalls ihre Börsennotierung nach Hongkong zu verlagern. Die chinesische Regierung signalisiert ferner eine mögliche Lockerung der regulatorischen Massnahmen im Technologiesektor, die im Jahr 2021 eine Hauptursache für die Volatilität an den chinesischen Aktienmärkten waren. Sie veranstaltet ein Symposium mit grossen Technologieunternehmen, um deren Rolle in der Wirtschaft zu besprechen. Berichten zufolge könnte die Regierung den Unternehmen ausserdem versichern, dass die Regulierungsbehörden von weiteren „Korrekturen“ oder der Verhängung neuer Geldbussen absehen. Dies führte in der vergangenen Woche zu einer aussergewöhnlichen Erholung von chinesischen Technologiewerten.

     

    Neutrale Engagements

    Um vom Wachstum der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt zu profitieren, nahmen wir im Juli 2020 erstmals chinesische Staatsanleihen in unsere Portfolios auf. Anschliessend erhöhten wir unser Engagement, da die Staatsanleihen im Vergleich zu 10-jährigen US-Treasuries eine attraktive Rendite boten. Darüber hinaus war die Erholung des Landes von der Pandemie weiter fortgeschritten, der Zugang für ausländische Investoren wurde verbessert und die Korrelation zu anderen Märkten war gering.

    In diesem Jahr haben sich viele dieser Faktoren deutlich verändert und uns zu einer neutralen Positionierung veranlasst. Insbesondere die Renditespanne zwischen den chinesischen und den US-amerikanischen Zinssätzen ist aufgrund der divergierenden geldpolitischen Ansätze inzwischen beseitigt. Auch wenn auf Renminbi lautende chinesische Staatsanleihen keinen Carry-Vorteil gegenüber US-Treasuries mehr bieten, können global investierte Portfolios unseres Erachtens immer noch vom Diversifizierungseffekt profitieren, da die chinesischen Staatsanleihen zu den meisten wichtigen Anlageklassen keine Korrelation aufweisen.

    Für eine nachhaltige Rally brauchen die Anleger mehr positive politische Signale

    Wir bleiben gegenüber chinesischen Aktien neutral eingestellt. Die Bewertungen sind sowohl im Vergleich zu den Industrie- als auch zu den Schwellenländern nach wie vor attraktiv; die Risiken einer Verlangsamung des Wachstums, eines Einbruchs am Immobilienmarkt, strenger regulatorischer Vorschriften für Technologieplattformen und potenzieller geopolitischer Beben lassen uns jedoch abwarten. Für die Wiederherstellung des Vertrauens und eine Rally brauchen die Anleger mehr positive politische Signale. Defensive Sektoren wie das Gesundheitswesen und Grundnahrungsmittel sind möglicherweise gegen makroökonomische und währungsspezifische Schwäche besser abgeschirmt. Infrastrukturausgaben dürften einige Industrie-, Versorgungs- und Technologietitel unterstützen. Sobald sich die regulatorischen Risiken verflüchtigen, könnten die Aktien von Internetunternehmen, die über hohe Barmittelbestände verfügen und weiterhin Rückkäufe tätigen können, profitieren.

    Auch gegenüber der chinesischen Währung haben wir eine neutralere Haltung eingenommen. Der Krieg in der Ukraine, bei dem China versucht, seine widersprüchlichen geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen miteinander zu vereinbaren, und die Verlangsamung des weltweiten Wachstums haben die Nachfrage nach dem US-Dollar seit Anfang des Jahres befeuert. Bis Mitte April war der Renminbi gegenüber dem Greenback stabil geblieben. Das änderte sich schlagartig, als die chinesische Währung auf einen Stand fiel, der seit November 2020 nicht mehr verzeichnet worden war. Diese Entwicklung widerspiegelte die Enttäuschung der Anleger über den wirtschaftlichen Schaden, der durch die langwierigen und aufeinanderfolgenden Lockdowns sowie die schrittweise geld- und fiskalpolitische Unterstützung entstand.

    Dennoch glauben wir nicht, dass Chinas Währung Gefahr läuft, eine Abwertung wie 2015 bis 2016 zu erleben, als die annualisierte Inflation rapide sank. Wir gehen davon aus, dass sich das Währungspaar Dollar/Renminbi in den nächsten drei Monaten zwischen 6.7 und 6.9 bewegen wird, wobei ein gewisser Spielraum nach oben besteht, wenn der US-Dollar gegenüber anderen wichtigen Währungen aufwertet. Dies impliziert eine zusätzliche Abwertung des Renminbi vom derzeitigen Wechselkurs von 6.60.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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