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    Wie sollen Anleger Anfang 2024 mit geopolitischen Risiken umgehen?

    Wie sollen Anleger Anfang 2024 mit geopolitischen Risiken umgehen?
    Samy Chaar - Chefökonom und CIO Schweiz

    Samy Chaar

    Chefökonom und CIO Schweiz
    Christian Abuide - Head of Asset Allocation

    Christian Abuide

    Head of Asset Allocation

    Kernpunkte:

    • Die Rivalität zwischen den von den USA und China angeführten Blöcken, eine mögliche Eskalation des Konflikts in Nahost und ein voller politischer Kalender: Dies sorgt Anfang 2024 für weiterhin erhöhte geopolitische Risiken.
    • Der Israel-Hamas-Konflikt dürfte lokal begrenzt bleiben. Die Angriffe am Roten Meer beeinträchtigen den Handel, dürften aber einen überschaubaren Einfluss auf die Inflation haben. Wir erwarten, dass der Ölpreis am unteren Ende einer Spanne von USD 80 bis 90 pro Barrel notieren wird. In einem Extremszenario sind kurzzeitige Preisausschläge möglich.
    • Eine globale „Entkopplung“ verändert die weltweiten Handels- und Investitionsströme. Die Sicherung von Lieferketten und strategischen Industrien ist ein wichtiges Thema geworden.
    • 2024 dürfte für die Märkte ein positives Jahr werden, doch wir bleiben in einem unsicheren geopolitischen Umfeld wachsam. Taktisch halten wir das Portfoliorisiko auf strategischem Niveau, mit einer Ausrichtung auf Qualität und einer Präferenz für US-Anlagen.

     

    Die Spannungen rund um das Rote Meer nehmen zu. Wie schätzen wir die geopolitischen Risiken in den ersten Monaten des Jahres ein, und was heisst das für die Kundenportfolios?

    Dieses Jahr drohen geopolitische Verwerfungen angesichts bereits bestehender Brüche zusätzliche Schocks hervorzurufen. Die sich verschärfende Rivalität zwischen den von den USA und China angeführten Blöcken führt zu Anpassungen des globalen Handels, der Lieferketten und der Investitionsströme. Anfang 2024 stehen für die Anlegerinnen und Anleger mehrere geopolitische Krisenherde im Fokus, vor allem im Nahen Osten, in Taiwan und in der Ukraine.

    Trotz der erhöhten Spannungen zwischen den USA und China und der Konflikte weltweit, einschliesslich des Israel-Hamas-Kriegs, verzeichneten Risikoanlagen 2023 eine starke Rally, insbesondere im letzten Quartal. Anfang 2024 bleiben die geopolitischen Risiken hoch, wobei ein Schwerpunkt in Nahost liegt. Das Jahr wartet auch mit einem ungewöhnlich vollen politischen Kalender auf. So stehen die US-Präsidentschaftswahlen an sowie Urnengänge in Grossbritannien, Japan, Europa, Indien, Mexiko, der Türkei, Venezuela, Südkorea, Südafrika, Iran, Russland und der Ukraine.

    Das Jahr wartet mit einem ungewöhnlich vollen politischen Kalender auf                                                      

    Risiken einer Eskalation im Nahen Osten

    Seit dem Beginn des Israel-Hamas-Kriegs und des Einmarschs Russlands in der Ukraine haben wir die Meinung vertreten, dass beide Konflikte weitgehend lokal begrenzt bleiben. Nun stellt sich die Frage, ob der Konflikt im Nahen Osten eskaliert – dies angesichts der Angriffe der Huthi am Roten Meer sowie am Golf von Aden und der von den USA angeführten Vergeltung, iranischer Raketenangriffe, der Festsetzung eines Öltankers vor der Küste Omans durch Iran und zunehmender Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah. Diese Geschehnisse haben unsere Arbeitshypothesen nicht verändert. Das beruht zum Teil darauf, dass bei einer Eskalation viel auf dem Spiel steht – für den Welthandel, die Ölpreise und die grossen Volkswirtschaften. Dies ist mit ein Grund für die intensiven diplomatischen Bemühungen der USA. Natürlich erfordern schnelllebige Ereignisse ständige Wachsamkeit. Doch ohne grössere Eskalation haben sich die Unruhen im Nahen Osten in den letzten 25 Jahren nur begrenzt auf das globale Wachstum und die Finanzmärkte ausgewirkt.

     

    Bedrohung mit Blick auf Handel und Inflation?

    Die Angriffe am Roten Meer wirken sich auf den Handel aus. Die Containerschifffahrt musste vom Suezkanal um das südliche Afrika herum umgeleitet werden. Dadurch verlängert sich die Transitzeit um 10 bis 14 Tage, und es wird mehr Treibstoff benötigt. Normalerweise werden mehr als 10% des Welthandels, 12% des auf dem Seeweg beförderten Öls und 8% des Flüssigerdgases durch das Rote Meer transportiert. Frachtschiffe für Rohstoffe sind weniger betroffen. Die Preise für die Frachtschifffahrt sind seit den Anschlägen in die Höhe geschnellt, wenn auch viel weniger stark als während der covidbedingten Schliessung der chinesischen Wirtschaft. Wir erwarten, dass dieser Anstieg wieder zurückgehen wird. Zwar werden einige Unternehmen und Sektoren – darunter Speditions- und Konsumgüterunternehmen – kurzfristige Folgen spüren, doch ändert dies nichts an unseren grundlegenden Wirtschafts- oder Inflationsprognosen.

    Die Preise für die Frachtschifffahrt sind seit den Anschlägen am Roten Meer in die Höhe geschnellt, wenn auch viel weniger stark als während der covidbedingten Schliessung der chinesischen Wirtschaft

    Sollte das Rote Meer über mehrere Monate nicht passierbar sein, hätte dies einen inflationären Effekt. Wenn die Frachtkosten etwa doppelt so hoch blieben wie Mitte Dezember 2023, würden laut Schätzung des Internationalen Währungsfonds die jährlichen Raten der Verbraucherpreisinflation bis Ende 2024 weltweit um durchschnittlich 0,7 Prozentpunkte höher ausfallen. Da die Anschläge eine bestimmte globale Handelsroute betreffen, dürften die potenziellen Auswirkungen auf die Warenpreise in der Eurozone etwa doppelt so gross sein wie in den USA. Dies würde jedoch nicht ausreichen, um die Verlangsamung der Inflation weltweit umzukehren. Wir erwarten auch nicht, dass dies die US-Notenbank Fed und andere wichtige Zentralbanken davon abhalten würde, die Zinsen im ersten oder zweiten Quartal zu senken.

    Da die Anschläge eine bestimmte globale Handelsroute betreffen, dürften die potenziellen Auswirkungen auf die Warenpreise in der Eurozone etwa doppelt so gross sein wie in den USA

    Erwartungen für den Ölpreis

    Die Ölpreise spiegeln ebenfalls geopolitische Risiken wider. Angriffe auf Frachter und ein Ausfall in Libyen wegen Protesten im Land haben in den letzten Wochen einen Preisrückgang verhindert. Dennoch ist die Rohöl-Benchmark Brent dieses Jahr weitgehend unter USD 80 pro Barrel geblieben, nachdem sie 2023 Höchststände von über USD 90 erreicht hatte. Dies ist vor allem auf Überschüsse am Markt zurückzuführen. Denn das Angebot von Ländern ausserhalb der OPEC+ – der Organisation der Erdöl exportierenden Länder und wichtiger Nichtmitglieder – deckt einen Grossteil des globalen Nachfrageanstiegs. Die Förderung in Ländern ausserhalb der OPEC+, darunter den USA, hat deutlich zugenommen. Die Reservekapazitäten der OPEC+ befinden sich fast auf Allzeithochs, und die Produktion im Nahen Osten ist bislang vom Konflikt weitgehend unberührt geblieben.

    Natürlich würden die Preise in die Höhe schnellen, wenn die Versorgung ernsthaft gestört würde. Dies wäre etwa der Fall bei der Bedrohung des Transits von Tankern durch die Strasse von Hormuz, der Ausdehnung des Konflikts auf wichtige Ölproduzenten in Nahost oder strengeren Sanktionen gegen die russische, iranische oder venezolanische Produktion. Angesichts der hohen involvierten Risiken halten wir diese Szenarien für wenig wahrscheinlich. Wir sind ausserdem der Meinung, dass die OPEC+ die Produktion hochfahren würde, um eine grössere Versorgungsstörung auszugleichen.

    Wir sind der Meinung, dass die OPEC+ die Produktion hochfahren würde, um eine grössere Versorgungsstörung auszugleichen

    Hohe geopolitische Risiken stehen einem sich verlangsamenden globalen Wachstum und einem Überangebot auf dem Markt gegenüber. Daher erwarten wir, dass die Brent-Rohölpreise in den kommenden Monaten am unteren Ende einer Spanne von USD 80 bis 90 pro Barrel notieren. Die steigende saisonale Nachfrage dürfte die Preise bis Mitte 2024 auf den Mittelwert dieser Spanne treiben. Wenn alle Öltanker vorübergehend gezwungen wären, das Rote Meer zu meiden, würden sich rund 105 Millionen Barrel mehr Öl auf dem Transportweg befinden. In diesem Extremszenario würden die Preise unserer Einschätzung nach um rund USD 4 pro Barrel steigen.

    Sichere Lieferketten

    Die Angriffe am Roten Meer verdeutlichen ein zentrales Thema der heutigen Weltwirtschaft: die Sicherheit der Lieferketten. Grosse Blöcke wie die USA, China und die Europäische Union versuchen, die Lieferketten zu sichern. Sie leiten sie über verbündete Länder um oder repatriieren und stärken in einigen Fällen strategische Industrien (Pharmazeutika, Mikrochips, Elektrofahrzeuge) im nationalen Interesse. Dies erhöht die Gefahr von Handelskonflikten. Die chinesischen Behörden könnten im jüngsten Wahlergebnis in Taiwan einen weiteren Grund sehen, die heimische Halbleiterindustrie zu fördern. Taiwans stärker unabhängigkeitsorientierte Regierungspartei (DPP) hat bei den Wahlen am 13. Januar erneut die Präsidentschaft gewonnen. Wir werden die Reaktion Pekings in den kommenden Wochen genau beobachten.

    Die Angriffe am Roten Meer verdeutlichen ein zentrales Thema der heutigen Weltwirtschaft: die Sicherheit der Lieferketten

    Der Risikoabbau der von den USA und China angeführten Blöcke geht mit einer Neuausrichtung der globalen Handels- und Investitionsströme einher. Der Wettbewerb zwischen den beiden Blöcken führt zu einem Investitionsboom in den Bereichen Verteidigung und grüne Technologien sowie zu Doppelspurigkeiten und Ineffizienz in den Lieferketten. Wir gehen nicht davon aus, dass diese Trends die Inflation stark anheizen werden. Allerdings besteht die Bereitschaft, die Staatsausgaben zu erhöhen. Sie ist mit ein Grund dafür, dass wir eine etwas höhere Inflation als vor der Pandemie und einen etwas höheren „neutralen“ Zinssatz in den grossen Volkswirtschaften erwarten. Aus einer Marktperspektive werden aus diesen Trends auch Gewinner und Verlierer hervorgehen, sowohl regional als auch sektorbezogen; Vietnam und Mexiko sind Beispiele für Erstere, Industrie, Grundstoffe und Halbleiter für Letztere.

    Es besteht die Bereitschaft, die Staatsausgaben zu erhöhen. Sie ist mit ein Grund dafür, dass wir eine etwas höhere Inflation als vor der Pandemie und einen etwas höheren „neutralen“ Zinssatz in den grossen Volkswirtschaften erwarten

    Chinas Leader haben 2024 innenpolitisch viel zu bewältigen: eine sich verlangsamende Wirtschaft, Deflationsdruck und eine Immobilienkrise. Das könnte die strategische Bereitschaft zu militärischer Konfrontation verringern. Wir bleiben vorsichtig, was chinesische Anlagen angeht: Aktien und der Renminbi stehen weiterhin unter Druck, während die Zinsen niedrig, aber im Vergleich zu den Alternativen in grossen Industrieländern unattraktiv sind.

    Im weiteren Verlauf des Jahres werden die politischen Risiken in den USA zunehmen. Es besteht die Möglichkeit, dass Donald Trump im November wieder zum Präsidenten gewählt wird und die Republikaner sowohl das Repräsentantenhaus und als auch den Senat kontrollieren werden. Dies könnte mit einer Wiedereinführung störender Zölle, einer restriktiven Migrationspolitik, welche die Inflation wieder anheizt, und einer unbeständigen Aussenpolitik einhergehen.

     

    Folgen für die Portfolios

    Was bedeuten diese Risiken für unserer Anlagestrategie? Unsere strategische Vermögensallokation ist auf einen höheren neutralen Zinssatz und ein unsicheres geopolitisches Umfeld ausgerichtet. Sie konzentriert sich auf Portfolio-Kernpositionen wie US-Aktien, mehr Anleihen in bestimmten Profilen und Qualität über die Anlageklassen hinweg.

    Angesichts der Risiken aufgrund der Geopolitik, der Verlangsamung des globalen Wachstums und einer möglichen Neubewertung mit Blick auf die vom Markt erwarteten Fed-Zinssenkungen halten wir das Portfoliorisiko auf strategischem Niveau. Aus taktischer Sicht beinhaltet unsere derzeitige Positionierung eine Übergewichtung von US-Staatsanleihen und erstklassigen Unternehmensanleihen. Wir bevorzugen auch US-Aktien, da wir der Meinung sind, dass die US-Marktführerschaft und die Bewertungsprämie Bestand haben können – dank makroökonomischer und sektorbezogener Vorteile.

    Der Goldpreis könnte unserer Meinung nach im weiteren Jahresverlauf auf etwa USD 2’100 pro Unze steigen. Dazu beitragen würden geopolitische Risiken, Fed-Zinssenkungen und eine Normalisierung der Realzinsen sowie eine starke physische Nachfrage

    An den Devisenmärkten sehen wir beim US-Dollar Potenzial für eine Erholung in den kommenden Monaten. Grund sind seine Wachstums- und Renditevorteile und seine traditionelle Rolle als Zufluchtswährung bei geopolitischen Risiken. Der Goldpreis könnte unserer Meinung nach im weiteren Jahresverlauf auf etwa USD 2’100 pro Unze steigen. Dazu beitragen würden geopolitische Risiken, Fed-Zinssenkungen und eine Normalisierung der Realzinsen sowie eine starke physische Nachfrage. Wir beobachten weiterhin genau, ob unsere geopolitischen Annahmen kurzfristig infrage gestellt werden, insbesondere in Bezug auf die Transportkosten und die weltweiten Ölpreise. Eine potenzielle kurzfristige Volatilität – wenn die Zinssenkungserwartungen am Markt weiter neu bewertet werden oder aufgrund geopolitischer Ereignisse – könnte Gelegenheiten für eine taktische Risikoerhöhung in den Portfolios bieten.

    Wichtige Hinweise.

    Die vorliegende Marketingmitteilung wurde von der Bank Lombard Odier & Co AG (nachstehend “Lombard Odier”) herausgegeben. Sie ist weder für die Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung in Rechtsordnungen bestimmt, in denen eine solche Abgabe, Veröffentlichung oder Verwendung rechtswidrig ist, noch richtet sie sich an Personen oder Rechtsstrukturen, an die eine entsprechende

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